“Sie verstehen nicht, wie einander Entgegengespanntes mit sich selbst übereinstimmt:
eine wider sich selbst gewendete Harmonie, wie beim Bogen und der Leier.”
“They do not understand how what is at variance is in agreement with itself:
backturning form (palintropos harmonie) like that of the bow and of the lyre.”
(Heraklit, Frag. 51)
Rauminstallationen & Bildobjekte der Düsseldorfer Künstlerin Joung-en Huh
Rauminstallationen und Bildobjekte von Joung-en Huh entstehen, nicht immer synchron, im Zuge eines umfassenden dialektischen Prozesses. Sie sind – ungeachtet der ihnen gemeinsamen klaren geometrischen Formensprache – polar aufeinander bezogene, aber eigenständige Ergebnisse der Auseinandersetzung mit spezifischen Themenkomplexen, die – ebenso rational wie intuitiv – um ein Grundthema kreisen.
Die ortsunspezifischen Bildobjekte tendieren zur Flächigkeit und einem radikal reduzierten Formenrepertoire. Sie erfordern als bildhafte Wandobjekte, die einen für ihre Wahrnehmung idealen auratischen Eigenraum erzeugen, eine ruhende Betrachterposition und konzentrierte Aufmerksamkeit. Sie wirken, besonders in den Serien, durch flächigen, nicht-strukturierten Farbauftrag und durch die schlichten geometrischen Formen zunächst entindividualisiert, neutral und emotionslos. Ihr Verweischarakter ist getilgt, sie verzichten asketisch auf Bedeutung und Welthaltigkeit. Sie sind einfach da, unmittelbar präsent. Sie sind, was sie sind, fraglos, ohne warum.
Doch gerade diese absolute ‚Präsenz-ohne-warum’ erzeugt beim Betrachter enantiodromisch das Gefühl ihrer Bedeutsamkeit. Wenn es ihm gelingt, sich in sie zu versenken und in ihren sich öffnenden Bildraum einzufühlen, behaupten sie in einer Umkehrbewegung ihre geschlossene Objekthaftigkeit und erzeugen so den wechselnden Eindruck von Nähe und Distanz.
Ein verwandter dialektischer Vorgang ereignet sich oft auf der Ebene der Bildräume selbst, deren planimetrische und stereometrische Formen sich in der Betrachterwahrnehmung wechselseitig ineinander verkehren: Die Fläche erweitert sich plötzlich zu einem Tiefenraum, der Tiefenraum verwandelt sich überraschend in zweidimensionale Formen zurück.


Mit der Arbeit Warteraum (2003) in der unterirdischen U-Bahn Passage Heinrich-Heine-Allee in Düsseldorf installierte und inszenierte Joung-en Huh das eigens für diesen Raum und seine Lage geschaffene Bildobjekt Warteraum. Wie eine sakrale Andachtstafel befindet es sich im Zentrum des sonst leerstehenden und ungenutzten Raumes. Die Anordnung und Ausrichtung der schlichten Sitzbänke gab wie das Gestühl in einer Kirche den zufällig sich in den Raum verirrenden Passanten einen deutlichen Hinweis zum Rezeptionsverhalten. Wer sich ausruhen, sammeln, finden wollte – hatte hier die Möglichkeit zu Andacht, Meditation und Versenkung – – – oder einfach zum Verschnaufen.

Die verwendeten Materialien sind überwiegend klassisch: Farbe, Tusche, Pigmente, Papier und Leinwand auf Keilrahmen; aber sie werden nur zum Teil auf traditionelle Weise verwendet. Farben, Tusche und Pigmente dienen in den frühen Arbeiten nicht nur als malerische Mittel, sondern vorrangig zur Tilgung materialspezifischer Strukturen; in späteren Arbeiten werden sie dagegen auch zur Hervorhebung struktureller und materieller Eigenarten verwendet. Auf subtile Weise wird zum Beispiel in Box (2001) durch den zugleich malerischen und instrumentellen Einsatz von Tusche gezielt eine minimale Wellung jedes Papierblatts der Serie hervorgerufen. Die Wellungen, deren schwache Schatten von Blatt zu Blatt im Zusammenspiel mit der geometrischen schwarzen Tuscheform fast unmerklich variieren, erzeugen eine faszinierende gegenstrebige Fügung organischer und geometrischer Formen. In zweifacher Hinsicht werden alternierend Raum zu Fläche und Fläche zu Raum. Darüber hinaus offenbaren die Wellungen spezifische Materialeigenschaften des Papiers und sind Indiz für seine essentielle materielle und räumliche Einbeziehung in das Kunstwerk als Bildobjekt. Die traditionelle Malunterlage rückt in den Focus der Aufmerksamkeit .

Auch in Gudrun 1 bzw. 2 (2005) sind die scheinbar traditionellen auf Keilrahmen gespannten Leinwände weitaus mehr als nur Präsentationsmedien: Durch die simple horizontale Zusammenfügung zweier Leinwände verwandeln sich die beiden auf ihnen zu sehenden mattdunkelgrünen Flächen durch den feinen vertikalen Schattenriss zu einer stereometrischen Form. Das Bildobjekt als Ganzes wirkt wie ein spielerisch-leichter, geglückter Moment, der bei experimentellem Arrangieren flächiger geometrischer Formen zufällig gefunden und festgehalten wurde. Kein Anspruch auf Bedeutung.
(Rand wird Mitte/ Mitte ist Leere. Trennendes verbindet/ Tiefes erhöht. Aus Leere Fülle.)


Die Rauminstallationen dagegen sind überwiegend formal, aber auch funktional auf ästhetische Architekturelemente des Ausstellungsraums bezogen (auf Proportionen, Perspektiven, Winkel, Linien, Lichtverhältnisse etc.). Der Raum wird, auch atmosphärisch, zu einem integralen Teil der Installationen. Durch seine Begehbarkeit wird er dynamisch und aktiv durch seinen Betrachter erschließbar: nicht nur in seiner essentiellen Mehransichtigkeit, sondern auch in seiner haptischen, materiellen und strukturellen Beschaffenheit; Bruno (2005) riecht sogar intensiv nach dem Klebstoff des Gewebebands.



Es gibt keinen privilegierten Betrachterstandpunkt mehr: Distanz und Distanzaufhebung, Nähe zu den Objekten und sphärisches Umschlossensein, Innen- und Außenansichten sind enthierarchisiert. Bestimmte, den jeweiligen Installationen eingeschriebene Bewegungs- und Verhaltensvorgaben beeinflussen gezielt die die Wahrnehmungs- und Erfahrungsmodi des Rezipienten.
Durch die Rauminstallation TAFEL (2003) in der Orangerie des Schlosses Benrath (bei Düsseldorf) mußte man sich vorsichtig über das leicht schwingende Parkett bewegen, da zu befürchten war, daß die fein ausbalanciert aufgerichteten Holzplatten wie Dominosteine umfallen könnten. Entsprechend behutsam, nahezu andachtsvoll, gingen die Besucher leise über das glatte Parkett.

Von den frühen zu den jüngsten Rauminstallationen ist eine zunehmende Lösung vom Objektcharakter und eine klare Entwicklung hin zur intensivierten Integration der architektonischen Raumbezüge und zu einer stärkeren Einbeziehung des Rezipienten feststellbar. In VILLA (2005), HAUS VON GUNTEN (2006), HOTEL (2006) oder SUITE (2007) entstehen kontextuelle Räume in und an den formalen und funktionalen Bezugskoordinaten von Architektur und Stadtlandschaft der Ausstellungsumgebung. Als völlig neues Moment kommen konkrete Nutzungsmöglichkeiten der Installationen hinzu, z.B. als Ausschanktheke während der Vernissage (HAUS VON GUNTEN, 2006), als Ort für eine Percussionperformance ( zusammen mit dem Musiker & Künstler Frank Oelmann), als Refugium für einsame Lektüre oder als gemütliche Ecke für ein geselliges Sit-in (VILLA, 2005). Dennoch bleibt durchgängig auch eine funktionsindifferente ästhetische Wahrnehmung und Erfahrung möglich. Bewußt wird durch die alltagsähnlichen Nutzungen auf die Rezeptionsbedingungen und -haltungen eingewirkt: eine entkonventionalisierte Annäherung wird möglich, museale Berührungsängste werden abgebaut und Befangenheiten gelockert. Kunst ist ins Leben integriert. Eine Anregung zu kommunizierender Wahrnehmung kommunizierender Räume.





In Frau Zigzag (2009) verbinden sich Bildobjekt & Rauminstallation selbst zu einer spannungsvollen Fügung, die auch im Titel mit einer Wortfügung scheinbar Unvereinbares doppelt anklingen läßt: das Objekt wird lebendig, nicht ohne Augenzwinkern, verwandelt sich in eine menschliche Person, eine Frau, deren Name paradoxerweise der lautmalerische Ausdruck für eine schweigende geometrische Bewegung ist, die sich im Zigzag von der Decke zum Boden zur Decke … in die Raumtiefe erstreckt. Frau Zigzag ist nicht nur ein großfächiges, schweres, den Raum auslotendes und verstellendes Bildobjekt, sondern auch, wenn man nach einer treffenden Gattungsbezeichnung sucht, ein Wortungeheuer: eine ‘Raum/ Bild/ Objekt/ Installation’. Eine spannungsvolle Fügung und Quintessenz aus Bild, Objekt, Raum und Installation.

Frau Zigzag ist eine Frau mit gegenstrebigen Eigenschaften, mit sehr unterschiedlicher, aber vielfach aufeinander bezogener Vorder- und Rückseite: eine Rauminstallation, die sich – nähert man sich ihr von vorn – als Bildobjekt trotz ihrer Größe und ihres Gewichts federleicht wirkt, schwebend fast, mit ‚Zehen- und Fingerspitzen’ wechselnd Decke und Boden berührt und sich so im Zigzag in die Tiefe des Gangs hinein und um die Ecke herum bewegt. Durch eine entschlossen gezogene, horizontale weiße Fluchtline auf Augenhöhe erhält die schwere tafelgrüne Zickzack-Bewegung eine ebenso entschlossene wie zarte vektoriale Ausrichtung. Diese nur wenige Zentimeter schmale Fluchtlinie erstreckt sich, als würde sie einen Lichtstrahl aus den Fenstern nachziehen, geradlinig hinweg über die quer zu ihr verlaufenden feinen Fugen zwischen den einzelnen dunkelgrünen Holzplatten.
Bewegt man sich an der Vorderseite und der scharfen Kante der rätselhaften Frau Zigzag vorbei, wird man vom Kontrast der skulpturalen Rückseite überrascht, von der offen gelegten, rohen technischen Stützkonstruktion, die vergessen läßt, wozu sie dient: das schroffe Holzgerüst ist in eine zweite elegante Rauminstallation verwandelt, die als kräftiges, klar komponiertes Gefüge leitmotivisch die Zigzagbewegung der Vorderseite aufnimmt und den Tiefenraum auf neue Weise erschließt und zugleich verstellt. Als sei hier plötzlich das Gerüst des abstrakten Raumes sichtbar geworden, das die Illusion, in der wir leben, zusammenhält.

© Das Copyright für alle Abbildungen liegt bei Joung-en Huh.
ein wundervoller beitrag, herzlichen dank!
minimal art-freunden sei auch dieser beitrag sehr ans herz gelegt: http://www.hausarbeiten.de/faecher/vorschau/110655.html#inside
eine dissertation zum thema “Minimal Art – Etablierung und Vermittlung moderner Kunst in den 1960er Jahren”. finde ich persönlich sehr spannend.
liebe grüße,
nura