Die spannungsvollen Fügungen
der Frau Zigzag.

Zur Kunst von Joung-en Huh.

Joung-en Huh: Frau Zigzag. Holz, Tafelfarbe, Acrylfarbe, 1000x400x330 cm "trendwände 09" kunstraum düsseldorf, 2009, #1
Joung-en Huh: Frau Zigzag. Holz, Tafelfarbe, Acrylfarbe, 1000x400x330 cm "trendwände 09" kunstraum düsseldorf, 2009, #1

“Sie verstehen nicht, wie einander Entgegengespanntes mit sich selbst übereinstimmt:
eine wider sich selbst gewendete Harmonie, wie beim Bogen und der Leier.”

“They do not understand how what is at variance is in agreement with itself:
backturning form (palintropos harmonie) like that of the bow and of the lyre.”

(Heraklit, Frag. 51)


Rauminstallationen & Bildobjekte der Düsseldorfer Künstlerin Joung-en Huh

Rauminstallationen und Bildobjekte von Joung-en Huh entstehen, nicht immer synchron, im Zuge eines umfassenden dialektischen Prozesses. Sie sind – ungeachtet der ihnen gemeinsamen klaren geometrischen Formensprache – polar aufeinander bezogene, aber eigenständige Ergebnisse der Auseinandersetzung mit spezifischen Themenkomplexen, die – ebenso rational wie intuitiv – um ein Grundthema kreisen.

Die ortsunspezifischen Bildobjekte tendieren zur Flächigkeit und einem radikal reduzierten Formenrepertoire. Sie erfordern als bildhafte Wandobjekte, die einen für ihre Wahrnehmung idealen auratischen Eigenraum erzeugen, eine ruhende Betrachterposition und konzentrierte Aufmerksamkeit. Sie wirken, besonders in den Serien, durch flächigen, nicht-strukturierten Farbauftrag und durch die schlichten geometrischen Formen zunächst entindividualisiert, neutral und emotionslos. Ihr Verweischarakter ist getilgt, sie verzichten asketisch auf Bedeutung und Welthaltigkeit. Sie sind einfach da, unmittelbar präsent. Sie sind, was sie sind, fraglos, ohne warum.

Doch gerade diese absolute ‚Präsenz-ohne-warum’ erzeugt beim Betrachter enantiodromisch das Gefühl ihrer Bedeutsamkeit. Wenn es ihm gelingt, sich in sie zu versenken und in ihren sich öffnenden Bildraum einzufühlen, behaupten sie in einer Umkehrbewegung ihre geschlossene Objekthaftigkeit und erzeugen so den wechselnden Eindruck von Nähe und Distanz.

Ein verwandter dialektischer Vorgang ereignet sich oft auf der Ebene der Bildräume selbst, deren planimetrische und stereometrische Formen sich in der Betrachterwahrnehmung wechselseitig ineinander verkehren: Die Fläche erweitert sich plötzlich zu einem Tiefenraum, der Tiefenraum verwandelt sich überraschend in zweidimensionale Formen zurück.

Joung-en Huh: Villa – B1, Acrylic on Canvas, 55 x 77 cm, 2007
Joung-en Huh: Villa – B1, Acrylic on Canvas, 55 x 77 cm, 2007
Joung-en Huh: Line-B1, Acrylic, pencil on wood, 25 x 40 cm, 2003
Joung-en Huh: Line-B1, Acrylic, pencil on wood, 25 x 40 cm, 2003

Mit der Arbeit Warteraum (2003) in der unterirdischen U-Bahn Passage Heinrich-Heine-Allee in Düsseldorf installierte und inszenierte Joung-en Huh das eigens für diesen Raum und seine Lage geschaffene Bildobjekt Warteraum. Wie eine sakrale Andachtstafel befindet es sich im Zentrum des sonst leerstehenden und ungenutzten Raumes. Die Anordnung und Ausrichtung der schlichten Sitzbänke gab wie das Gestühl in einer Kirche den zufällig sich in den Raum verirrenden Passanten einen deutlichen Hinweis zum Rezeptionsverhalten. Wer sich ausruhen, sammeln, finden wollte – hatte hier die Möglichkeit zu Andacht, Meditation und Versenkung – – – oder einfach zum Verschnaufen.

Joung-en Huh: Warteraum (waiting room) / passable. Underground Heinrich-Heine-Allee-project, Acrylic on canvas, wood, Düsseldorf 2003

Joung-en Huh: Warteraum (waiting room) / passable. Underground Heinrich-Heine-Allee-project, Acrylic on canvas, wood, Düsseldorf 2003
Joung-en Huh: Warteraum (waiting room) / passable. Underground Heinrich-Heine-Allee-project, Acrylic on canvas, wood, Düsseldorf 2003

Die verwendeten Materialien sind überwiegend klassisch: Farbe, Tusche, Pigmente, Pa­pier und Leinwand auf Keilrahmen; aber sie werden nur zum Teil auf traditionelle Weise verwendet. Farben, Tusche und Pigmente dienen in den frühen Arbeiten nicht nur als malerische Mittel, sondern vorrangig zur Tilgung materialspezifischer Strukturen; in späteren Arbeiten werden sie dagegen auch zur Hervorhebung struktureller und ma­terieller Eigenarten verwendet. Auf subtile Weise wird zum Beispiel in Box (2001) durch den zugleich malerischen und instrumentellen Einsatz von Tusche gezielt eine minimale Wellung jedes Papierblatts der Serie hervorgerufen. Die Wellungen, deren schwache Schatten von Blatt zu Blatt im Zusammenspiel mit der geometrischen schwarzen Tuscheform fast unmerk­lich variieren, erzeugen eine faszinierende gegenstrebige Fügung organischer und geometri­scher Formen. In zweifacher Hinsicht werden alternierend Raum zu Fläche und Fläche zu Raum. Darüber hinaus offenbaren die Wellungen spezifische Materialeigenschaften des Pa­piers und sind Indiz für seine essentielle materielle und räumliche Einbeziehung in das Kunstwerk als Bildobjekt. Die traditionelle Malunterlage rückt in den Focus der Aufmerksamkeit .

Joung-en Huh: Box – B1, China ink on paper, 150 x 130 cm, 2001
Joung-en Huh: Box – B1, China ink on paper, 150 x 130 cm, 2001

Auch in Gudrun 1 bzw. 2 (2005) sind die scheinbar traditionellen auf Keilrahmen gespannten Leinwände weitaus mehr als nur Präsentationsmedien: Durch die simple horizontale Zusammenfügung zweier Leinwände verwandeln sich die beiden auf ihnen zu sehenden mattdunkelgrünen Flächen durch den feinen vertikalen Schattenriss zu einer stereometrischen Form. Das Bildobjekt als Ganzes wirkt wie ein spielerisch-leichter, geglückter Moment, der bei experimentellem Arrangieren flächiger geo­metrischer Formen zufällig gefunden und festgehalten wurde. Kein Anspruch auf Bedeutung.
(Rand wird Mitte/ Mitte ist Leere. Trennendes verbindet/ Tiefes erhöht. Aus Leere Fülle.)

Joung-en Huh: Gudrun 2, Acrylic on canvas, 75 x 110 cm, 2005
Joung-en Huh: Gudrun 2, Acrylic on canvas, 75 x 110 cm, 2005
Joung-en Huh: Gudrun 1 & Gudrun 2, Acrylic on canvas, 75 x 110 cm, 2005
Joung-en Huh: Gudrun 1 & Gudrun 2, Acrylic on canvas, 75 x 110 cm, 2005

Die Rauminstallationen dagegen sind überwiegend formal, aber auch funktional auf ästheti­sche Architekturelemente des Ausstellungsraums bezogen (auf Proportionen, Perspektiven, Winkel, Linien, Lichtverhältnisse etc.).  Der Raum wird, auch atmosphärisch, zu einem integralen Teil der Installationen. Durch seine Be­gehbarkeit wird er dynamisch und aktiv durch seinen Betrachter erschließbar: nicht nur in sei­ner essentiellen Mehransichtigkeit, sondern auch in seiner haptischen, materiellen und struk­turellen Beschaffenheit; Bruno (2005) riecht sogar intensiv nach dem Klebstoff des Gewebebands.

Joung-en Huh: Bruno. Stahlprofil, Gewebeband, 340 x 215 x 265 cm, marks blond project bern, Schweiz 2005, Ansicht Innen, Foto: David Aebi
Joung-en Huh: Bruno. Stahlprofil, Gewebeband, 340 x 215 x 265 cm, marks blond project bern, Schweiz 2005, Ansicht Innen, Foto: David Aebi
Joung-en Huh: Bruno. Stahlprofil, Gewebeband, 340 x 215 x 265 cm, marks blond project bern, Schweiz 2005, Foto: Manuel Burgener
Joung-en Huh: Bruno. Stahlprofil, Gewebeband, 340 x 215 x 265 cm, marks blond project bern, Schweiz 2005, Foto: Manuel Burgener
Joung-en Huh: Bruno. Stahlprofil, Gewebeband, 340 x 215 x 265 cm, marks blond project bern, Schweiz 2005, Foto: Manuel Burgener
Joung-en Huh: Bruno. Stahlprofil, Gewebeband, 340 x 215 x 265 cm, marks blond project bern, Schweiz 2005, Foto: Manuel Burgener

Es gibt keinen privilegierten Betrachterstandpunkt mehr: Distanz und Distanzaufhe­bung, Nähe zu den Objekten und sphärisches Umschlossensein, Innen- und Außenansichten sind enthierarchisiert. Bestimmte, den jeweiligen Installationen eingeschriebene Bewegungs- und Verhaltensvorgaben beeinflussen gezielt die die Wahrnehmungs- und Erfah­rungsmodi des Rezipienten.
Durch die Rauminstallation TAFEL (2003) in der Orangerie des Schlosses Benrath (bei Düsseldorf) mußte man sich vor­sichtig über das leicht schwingende Parkett bewegen, da zu befürchten war, daß die fein ausbalanciert aufgerichteten Holzplatten wie Dominosteine um­fallen könnten. Entsprechend behutsam, nahezu andachtsvoll, gingen die Besucher leise über das glatte Parkett.

Joung-en Huh: TAFEL, Orangerie Schloss Benrath Düsseldorf, Acrylfarbe auf Holz, 515 x 205 x 400 cm, 2003

Joung-en Huh: TAFEL, Orangerie Schloss Benrath Düsseldorf, Acrylfarbe auf Holz, 515 x 205 x 400 cm, 2003 Ausstellungsansichten
Joung-en Huh: TAFEL, Orangerie Schloss Benrath Düsseldorf, Acrylfarbe auf Holz, 515 x 205 x 400 cm, 2003 Ausstellungsansichten

Von den frühen zu den jüngsten Rauminstallationen ist eine zunehmende Lö­sung vom Objektcharakter und eine klare Entwicklung hin zur intensivierten Integration der architektonischen Raumbezüge und zu einer stärkeren Einbeziehung des Rezipienten feststellbar. In VILLA (2005)HAUS VON GUNTEN (2006), HOTEL (2006) oder SUITE (2007) entstehen kontextuelle Räume in und an den formalen und funktionalen Bezugskoordinaten von Architektur und Stadtlandschaft der Ausstellungsumgebung. Als völlig neues Moment kommen konkrete Nutzungsmöglichkeiten der Installationen hinzu, z.B. als Ausschanktheke während der Vernissage (HAUS VON GUNTEN, 2006), als Ort für eine Percussionperformance ( zusammen mit dem Musiker & Künstler Frank Oelmann), als Refugium für einsame Lektüre oder als gemütliche Ecke für ein geselliges Sit-in (VILLA, 2005). Dennoch bleibt durchgängig auch eine funktionsindif­ferente ästhetische Wahrnehmung und Erfahrung möglich. Bewußt wird durch die alltagsähnlichen Nutzungen auf die Rezeptionsbedingungen und -haltungen eingewirkt: eine entkonventionalisierte Annäherung wird möglich, museale Berührungsängste werden abgebaut und Befangenheiten gelockert. Kunst ist ins Leben integriert. Eine Anregung zu kommunizierender Wahrnehmung kommunizierender Räume.

Joung-en Huh: VILLA / passable im offspace LADEN (Düsseldorf, Germany), wood, wall paper, neon light, 300 x 210 x 330 cm, 2006

Joung-en Huh: VILLA / passable im offspace LADEN (Düsseldorf, Germany), wood, wall paper, neon light, 300 x 210 x 330 cm, 2006
Joung-en Huh: VILLA / passable im offspace LADEN (Düsseldorf, Germany), wood, wall paper, neon light, 300 x 210 x 330 cm, 2006 – Ausstellungsansichten

Joung-en Huh: HOTEL 2006 (feat. Heinrich Gartentor) artcanal fluid in Le Landeron, Schweiz und Dejoun, Südkorea. Fotos: Igor Gartentor. Ausstellungsansicht

Joung-en Huh: HOTEL 2006 (feat. Heinrich Gartentor) artcanal fluid in Le Landeron, Schweiz und Dejoun, Südkorea. Fotos: Igor Gartentor. Ausstellungsansichten
Joung-en Huh: HOTEL 2006 (feat. Heinrich Gartentor) artcanal fluid in Le Landeron, Schweiz und Dejoun, Südkorea. Fotos: Igor Gartentor. Ausstellungsansichten
Joung-en Huh: HAUS VON GUNTEN, Projektraum Winfried von Gunten, Thun, Leinwand, Keilrahmen, Glühbirne, 600 x 140 x 230 cm, 2006
Joung-en Huh: HAUS VON GUNTEN, Projektraum Winfried von Gunten, Thun, Leinwand, Keilrahmen, Glühbirne, 600 x 140 x 230 cm, 2006

Vernissage HAUS VON GUNTEN, Projektraum Winfried von Gunten, Thun, Leinwand, Keilrahmen, Glühbirne, 600 x 140 x 230 cm, 2006

Vernissage HAUS VON GUNTEN, Projektraum Winfried von Gunten, Thun, Leinwand, Keilrahmen, Glühbirne, 600 x 140 x 230 cm, 2006
Vernissage HAUS VON GUNTEN, Projektraum Winfried von Gunten, Thun, Leinwand, Keilrahmen, Glühbirne, 600 x 140 x 230 cm, 2006

Joung-en Huh: SUITE, Künstlerverein Malkasten Düsseldorf. Holz, Tapete, 200 x 130 x 300 cm, 2007 (Ansicht bei Tag )

Joung-en Huh: SUITE, Künstlerverein Malkasten Düsseldorf. Holz, Tapete, 200 x 130 x 300 cm, 2007 (Ansichten bei Tag & Nacht)
Joung-en Huh: SUITE, Künstlerverein Malkasten Düsseldorf. Holz, Tapete, 200 x 130 x 300 cm, 2007 (Ansichten bei Tag & Nacht)

In Frau Zigzag (2009) verbinden sich Bildobjekt & Rauminstallation selbst zu einer spannungsvollen Fügung, die auch im Titel mit einer Wortfügung scheinbar Unvereinbares doppelt anklingen läßt: das Objekt wird lebendig, nicht ohne Augenzwinkern, verwandelt sich in eine menschliche Person, eine Frau, deren Name paradoxerweise der lautmalerische Ausdruck für eine schweigende geometrische Bewegung ist, die sich im Zigzag von der Decke zum Boden zur Decke … in die Raumtiefe erstreckt. Frau Zigzag ist nicht nur ein großfächiges, schweres, den Raum auslotendes und verstellendes Bildobjekt, sondern auch, wenn man nach einer treffenden Gattungsbezeichnung sucht, ein Wortungeheuer: eine ‘Raum/ Bild/ Objekt/ Installation’. Eine spannungsvolle Fügung und Quintessenz aus Bild, Objekt, Raum und Installation.

Joung-en Huh: Frau Zigzag. Holz, Tafelfarbe, Acrylfarbe, 1000x400x330 cm
Joung-en Huh: Frau Zigzag. Holz, Tafelfarbe, Acrylfarbe, 1000x400x330 cm “trendwände 09″ kunstraum düsseldorf, 2009, #3

Frau Zigzag ist eine Frau mit gegenstrebigen Eigenschaften, mit sehr unterschiedlicher, aber vielfach aufeinander bezogener Vorder- und Rückseite: eine Rauminstallation, die sich – nähert man sich ihr von vorn – als Bildobjekt trotz ihrer Größe und ihres Gewichts federleicht wirkt, schwebend fast, mit ‚Zehen- und Fingerspitzen’ wechselnd Decke und Boden berührt und sich so im Zigzag in die Tiefe des Gangs hinein und um die Ecke herum bewegt. Durch eine entschlossen gezogene, horizontale weiße Fluchtline auf Augenhöhe erhält die schwere tafelgrüne Zickzack-Bewegung eine ebenso entschlossene wie zarte vektoriale Ausrichtung. Diese nur wenige Zentimeter schmale Fluchtlinie erstreckt sich, als würde sie einen Lichtstrahl aus den Fenstern nachziehen, geradlinig hinweg über die quer zu ihr verlaufenden feinen Fugen zwischen den einzelnen dunkelgrünen Holzplatten.

Bewegt man sich an der Vorderseite und der scharfen Kante der rätselhaften Frau Zigzag vorbei, wird man vom Kontrast der skulpturalen Rückseite überrascht, von der offen gelegten, rohen technischen Stützkonstruktion, die vergessen läßt, wozu sie dient: das schroffe Holzgerüst ist in eine zweite elegante Rauminstallation verwandelt, die als kräftiges, klar komponiertes Gefüge leitmotivisch die Zigzagbewegung der Vorderseite aufnimmt und den Tiefenraum auf neue Weise erschließt und zugleich verstellt. Als sei hier plötzlich das Gerüst des abstrakten Raumes sichtbar geworden, das die Illusion, in der wir leben, zusammenhält.

Joung-en Huh: Frau Zigzag. Holz, Tafelfarbe, Acrylfarbe, 1000x400x330 cm
Joung-en Huh: Frau Zigzag. Holz, Tafelfarbe, Acrylfarbe, 1000x400x330 cm “trendwände 09″ kunstraum düsseldorf, 2009, #2

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