11. April – 11. Juli 2012
Bilder werden bewundert, verehrt und bestraft. Sie werden geschändet, attackiert und zerstört. Sie bluten, weinen und heilen. Sie erzählen Geschichten, und behaupten zu sprechen. Sie wurden totgesagt, und behaupten noch immer lebendig zu sein.
Bilder sind Medien, das scheint klar. Als solche weisen sie noch dem Sprachunkundigen den Weg, auch wenn er in seiner Sichtung nicht über deren Wahrheitsgehalt aufgeklärt wird. Ihre Verführungspotenz macht Bilder als Werke geistiger Manipulation gefährlich, das meinte schon Platon zu wissen. Ohne Bild aber keine Welt. In ihrem bildnerischen Vermögen können sie die Ganzheit von Erscheinung erschließen, sie vermögen Orte, Ereignisse, Dinge und Gedanken sichtbar zu machen, in ihnen können Komplexitäten überschaubar werden. Bildhaft werden sie sprichwörtlich zum Leitbild, zum Weltbild oder aber auch zum Abziehbild. Bilder neigen zur Auflösung des Greifbaren im Schein und haben doch eine eindrückliche Bindung zum Körper. Bilder sind Abdrücke des Abwesenden und dennoch unkontrollierbar in der Produktion überschüssiger Bedeutung. Ihre Natur ist ambivalent.
Die technische Ausweitung der Bildproduktion hat in unserer Gegenwart zu einer historisch unvergleichlichen übiquitären Präsenz der Bilder geführt, dem sich nichts und niemand mehr zu entziehen vermag. Angesichts der massenmedialen Bilderschwemme ist uns eine abbildungsfreie oder auch nur bilderarme Welt unvorstellbar geworden. In ihrer medialen Vielfalt sind sie Teil einer umfassenden kulturellen Praxis. Nicht zuletzt die unerhörten explorativen Möglichkeiten neuer technischer Bildgebungsverfahren haben dazu geführt, dass sich auch ursprünglich bildresistente wissenschaftliche Disziplinen dem Sog des Visuellen kaum mehr entziehen können und wollen. Im Gegenteil: Wissenschaften sind heute selbst hochergiebige Bildproduzentinnen. Längst werden daher neben der sinnlichen und narrativen Seite des Bildlichen auch ihre technischen und epistemischen Aspekte gewürdigt.
1994 hatte der Kunsthistoriker Gottfried Böhm den Begriff der ikonischen Wende geprägt. Nach zwei Jahrzehnten intensivster Beschäftigung und zahlloser Publikationen zum Thema ist die Aktualität der Frage nach dem Bild ungebrochen. Ja man kann sagen, dass das Anschwellen bildwissenschaftlicher Forschung eine horrende Erkenntnisfläche ausbildet, auf der eine unübersichtlich gewordene Vielzahl theoretischer Strudel und Strömungen die gegenwärtige Diskusion in Bewegung setzen. Dies führt den Impuls zu ihrer Kartographierung bei sich. Dabei wird darauf zu achten sein, ob der Diskurs des Ikonischen nicht zu einem Selbstläufer rationalisierender Wissensformatierung wird, in dem die wirren, schattigen und unbändigen Potentiale des Bildlichen unsichtbar werden.
In den vergangenen Jahren konnte sich die interdisziplinäre Erforschung von Bildern in zahlreichen Forschungsprojekten in Berlin und Potsdam etablieren. Deren aktuellen Forschungsstand mit seinen unterschiedlichen Positionen einer größeren Öffentlichkeit zu erschließen, nimmt sich nun eine Ringvorlesung im Hamburger Bahnhof vor. Der wissenschaftliche Diskurs kehrt damit an einen Ort der Kunst zurück. Zu einer Kunst, welche selbst zwar einen ursprünglichen Bezug zum Bild pflegt, sich längst aber nicht mehr ausschließlich über ihre visuell-bildlichen Vermögen definiert und definieren läßt. Heute sollte ein Museum, zumal eines der Gegenwart, nur als eine lebendige Form des Labors gedacht werden. Es wird daher interessant sein zu beobachten, wie uns die Wissenschaft die Perspektiven der Bildforschung erklärt, und damit hoffenswerterweise neue, folgenreiche Denk-und Bildakte in Gang setzt.
Programm:
11.4. Dieter Mersch: Sichtbarkeiten/ Sichtbarmachungen: Denken im Visuellen
02.5. Sybille Krämer: Gibt es ein „geistiges Auge“? Und wenn ja: wie “sieht“ es und was „sieht“ es?
09.5. Klaus Krüger: Bild und Evidenz. Zur Ästhetik medialer Konstruktionen
16.5. Peter Geimer: Farben der Evidenz. Vergangenheit im Film
30.5. Tanja Michalsky: Das Wissen der Künste
20.6. Matthias Brun: Ökonomien der Bildgeschichte
04.7 Horst Bredekamp: Kunstgeschichte und neue Anthropologie
11.7. Jörg Trempler: Historische Anthropologie der Bilder