Als vor drei Wochen das Premierenpublikum des Gallery Weekends durch den vielleicht aufregendsten Berliner Kunsthotspot mit seinen zahllosen galeristischen Neuansiedlungen rund um die Potsdamer Straße schob, konnte man wieder einmal die abstrusen Seiten der Kunstwirtschaft inmitten eines ungehemmt exhibitionistisch provozierten Clash of Civilisations bestaunen. Was, um der Götter willen, mögen sich Ansässige im Stillen gefragt haben, zog all diese sozio-urbanen Sonderformen symbolaffiner Kosmo- und Metropoliten; all die Bobos, Kunstyuppies und Kulturhipster magnetisch an diesen unwirtlichen Ort zwischen Varieté Wintergarten, Woolworth und LSD (Love, Sex and Dreams)?
Sollte die Kunst doch ein Licht sein, um das sich Erleuchtungswillige scharen. Oder ist es die zweifelhafte Exklusivität einer sensationsgeschulten Ware, deren modischer Versuchung sich niemand, schon gar nicht superreiche High-End-Symbolkonsumenten entziehen können? Kunst als großstädtische Zerstreuungsinsel gibt heute in jedem Fall einen tauglichen Eventhintergrund, um habituelle Gesten kultureller Differenz aufzuführen.
Auf der Suche nach der verlorenen, ungebrochen rauen Realität stieg die Gegend um die Potsdamer Straße, für die sich seit Iggy Pop und David Bowie niemand mehr interessiert hatte, allerdings nicht erst in diesem Jahr zum angesagtesten Berliner Kunststandort auf. Alljährlich dürften dort nun zum Gallery Weekend sämtliche Ambivalenzen und Antinomien des Kunstbetriebs kaleidoskopartig bestaunt oder ignoriert werden können- und abgerockt wie sie ist, kann sich die Potsdamer Straße nun als der etablierte ästhetische Status Quo des Pittoresken begreifen.
Nicht im offiziellen Programm, aber dennoch mittendrin war der tschechische Künstler Kristof Kintera bei Jiri Svestka für mich dabei die Entdeckung des Wochenendes: “Bad News!” kündet schon einnehmend direkt der Unheil provozierende Ausstellungstitel, während das titelgebende zentrale Werk der Ausstellung – immer wieder von Atempausen unterbrochen – seine Negativschlagzeilen via Ghettoblaster und Trommelwirbel kakophon durch die Galerieräume treibt.
Angesichts der dionysisch-diabolischen Abgründigkeit des alienhaften Puppendrumers, dessen lärmende Automatenexistenz Ulk und Unsinn der globalpessimistischen Informationsmaschinerie als unverständlich einpaukenden Rhythmus einstimmt, fühlt man sich – nicht ohne witzelnd sarkastisches Augenzwinkern – in die mephistophelischen Maschinenräume des Informationszeitalters geworfen. Denn wo Begriffe fehlen, da stellt ein Sound zur rechten Zeit sich ein. Bad News! Diese Installation ist allemal gespenstisch genug, um mit der gleichnamigen, hypertrashigen britischen Fernsehserie um eine fiktive Heavy-Metal Band in Zusammenhang gebracht zu werden.
Beiläufig gelingt es Kintera, die raue Härte einer Straßenrotzigkeit in eine Kunst einzuschleusen, die sich sonst oft genug vom Gewollten ihrer Künstlichkeit, dem schönen Schein des Akademischen, der Dürre theorieinduzierte Diskurskunst oder anderen selbsreferentiellen Behaglichkeiten gefährdet zeigt;- die sich kurz gesagt wie in einem Faradayschen Käfig von Ausseneinflüssen abschließt.
Nicht in angestrengten Aufwendungen des Mimetischen, sondern im metaphorischen Gebrauch des Vorhanden und einer schlagfertigen erzählerischen Transformation bestimmt Kintera das Verhältnis von Künstlichkeit und Realität. Er kombiniert dabei Versatzstücke des Alltäglichen zu oft slapstickhaft skurrilen Objektarrangements, die in manchen Momenten an die surrealen Leipziger Bildwelten erinnern, deren skulpturales Gegenstück sie sein könnten.
Ihrem routinierten Gebrauch und funktionalen Ursprungszusammenhang entzogen, beginnen die recycelten und neu zusammengefügten Dinge ein seltsam eigenwilliges Eigenleben zu führen. Die produktive Paarung von Wirklichkeit und Phantasma bringt bei Kintera unergründliche Handlungsmomente hervor, die der Absurdität des Alltäglichen einer vollständig durcheinander geratenen, explodierenden Lebenswelt mit märchenhaftem Schabernak begegnet.
Von suggestiver Lebendigkeit sind bei Kintera noch die scheinbar unbeseeltesten Objekte. Doch in dem monströsen Puppenautomaten – diesem unheimlichen Maschinenwesen – figurieren sich nicht allein aktuelle Debatten um Täuschung und Medialität, darin äußert sich auch die technische Simulation des gesellschaftlich ausgeschlossenen Unberechenbaren, als welches sich das Subjekt – gerade gegen alle Erwartungen – zu gelten beanspruchen müsste.
Bad News! Optimismus ist Mangel an Information, sprach der kulturtechnisch versierte Griesgram. Da aber lernte er lachen. Noch bis zum 8.Juni 2013 tanzen die Puppen in einer vermutlich wieder ganz alltäglich gewordenen Potsdamer Straße.
Jiri Svestka Gallery
Potsdamer Str. 81c
10785 Berlin
15. April bis 8. Juni 2013




