Das Pennälerfoto als megalomanes Monument
Benedikt Braun ist ein fucking saint der Gegenkultur im Reich der Klassik. Er treibt sein Unwesen an einem Ort, der wie kaum ein anderer in zwei nationalen Großdichtern verkörpert ist. Auf einer formalästhetisch bescheidenen Fotoarbeit von 2007 posiert BB inmitten einer Schulmädchenklasse unter dem Goethe-Schiller Denkmal vor dem Deutschen Nationaltheater in Weimar: Drei große Deutsche! – einer davon barbäuchig grinsend, umfangen von bildungshungrigen, bildungsresistenten, bildungsgleichgültigen, bildungsunberührten, bildungskontaminierten – in jedem Fall aber zahlreichen und mädchenhaften Bildungsreisenden. Banal bis aufs Blut und bildhaft beliebig wie das letzte Pennälerfoto beginnt diese Fotografie erst dann interessant zu werden, wenn sie in der Stringenz seines Werkes als megalomanes Monument narzisstischer Selbstinszenierung konzeptualisiert wird.

Für seine manchmal komisch-grotesken, häufig reduziert trashigen Darbietungen nutzt er konsequent alle ihm zur Verfügung stehenden Medien: Fotografie, Performance, Objektkunst, Installation. Sich selbst beobachtend isoliert er die schmucklose Unwirtlichkeit des Alltags, verdichtet beiläufig die tägliche Tragikomödie einer absurden Wirklichkeit in Fotoschnappschüssen und Videoschnipseln. Nichts anderes als die eigene Existenz ist es, die ihm dabei in Form einer elementar verknappten Anspruchslosigkeit als Ausgangsmaterial für seine kleinen neurotischen Slapstickeinlagen, eigenwilligen Selbstpraktiken und automatisierten Verhaltensinteraktionen dient. Er teilt darin die voyeuristische Lust an der performativen Bildproduktion und massenmedialen Distributionspraxis der Social Medias. Doch aus der Aneignung populärer Selbstinszenierungstrategien destilliert BB über die konsequent ungeschönte Darstellung der eigenen Lebenswirklichkeit hinaus auch lakonische Kommentare über den Zustand einer Gesellschaft, die für ihre eigenen Ungereimtheiten und trivialen Tristessen oft genug auf beiden Augen blind bleibt.
Zwischen Superman und Super Arm
Als strategischer Mittelpunkt seiner Arbeit definiert BB die eigene Rolle als Künstler nicht ganz koketteriefrei in der Dialektik von Superman und super arm. Um sich ein Bild von der heroischen Gestalt eines großen Künstler zu machen, genügt es denn zuweilen einfach, an sich selbst hoch und runter zu schauen, wie es BB in Superman Nacktflug von 2007 vorführt. Dieser Depotenzierung des Heldischen entgegnet am anderen Ende der Selbstironieskala die Doppeldeutigkeit der programmatischen Fotoarbeit Super Arm aus dem Jahr 2011, in der sich BB als Schlachtgehilfe in schmutzabweisender Schlachterschürze und hygienesteifen Gummistiefeln zeigt, der gleich einer bärtigen Mänade in rasender Verzückung die erfolgreiche Amputation seines Armes betanzt. Als körperlich und geistig belastbarer Selbstausbeuter wird der Künstler vorgeführt. Nicht einmal vor Selbstverstümmelung schreckt dieser in seinen rauschhaften Exzessen und immerfröhlichen Rasereien zurück. Kreativ ist, wer die landläufige Sentenz, doch lieber arm dran zu sein, als ein gleichnamiges Körperglied abhanden kommen zu lassen, perfide umdeutet.

Zwischen super arm und Superman liegt dann manchmal nicht einmal mehr ein kleiner Schritt für den Künstler, aber jederzeit ein gewaltiger für die Ideologen der Menschheit. Mit ironischen Volten antwortet Braun auf den Umklammerungsgriff der Klischees, von denen man sich nie ganz sicher sein kann, ob und wo sie noch existieren. So ist es ein ganz und gar spielerischer Akt der Befreiung, in dem er als Persiflage kreativer Rollenbilder die untoten Stereotypen des gottgleichen und heldenhaften Schöpfers, aber auch das des armen Poeten aus den Mottenkisten der bürgerlichen Kunstanschauung ans Licht zerrt, um sie dann in verfremdeten Grotesken zu unterlaufen.
Die Waren-Dinge
Neben den Foto-und Videoarbeiten, deren medienkosmischer Mittelpunkt die Performance der eigenen Existenz darstellt, bastelt BB auch an Objekten und Installationen, in denen er Holzlatten, Klebeband, Bierflaschen oder Plastikspielzeug verarbeitet. BB schätzt dabei die Billigkeit dieses gänzlich unkünstlerischen Materials. Mit solchen und anderen Fundstücken aus der Welt der 1-Euro-Konsumlandschaften, der Warenlager von Baumarktketten und Discounterfilialen operiert er gerne, wohl schon allein deshalb, um aus ihnen die ästhetische Grundlage seiner Arbeit zu gewinnen, die ihren besonderen Reiz aus zivilisatorischer Verwahrlosung beziehen. Er nutzt dabei die rohe Schönheit einer Unterschichten-Wahren-Welt, die er gerne auch einmal mit der Patina des Schäbigen und Abgenutzten würzt.
Als Realitätsrelikte öffnet er diese Konsumgüter allerdings auf eine verschobene Bedeutung hin. Entscheidend dabei ist, dass es BB mit überzeugender Rotzigkeit gelingt, mittels minimaler Interventionen die synthetische Trivialität dieser Waren-Dinge, die im scheinbaren Schweigen des Nichts-Sagenden ihren tiefsten Grund finden, aus der Bedeutungslosigkeit zu reißen. Ihre Seelenarmut animiert er so, dass sie eine zugespitzte Rhetorik entwickeln. Kurz: er gibt der Welt der Waren-Dinge eine Sprache. Affirmiert sie, um sie zeigen zu können. Nutzt sie, ohne sie vorzeitig bewerten zu müssen.
Oft ähneln seine Objekte dabei sarkastischen Bemerkungen, deren beißender Witz erst in der Konfrontation von Text und Objekt wirksam wird. Sprache und Ding können dabei ebenso von einander abweichen, wie sich ergänzen oder vervollständigen. Ihre semantischen Bedeutungshöfe schieben sich ineinander, blenden einen Aspekt ab oder heben einen anderen hervor. Aus dem Feld ihrer intermedialen Wechselwirkung heraus formulieren sie einen metaphorischen Sinn, der sticht. Dabei folgt der spontane Akt der Bedeutungsübertragung, der das zentrale Movens jeder lebendigen Metapher ist, nicht unbedingt dem surrealistischen Gebot der spektakulären Kollision des Unvereinbaren. Brauns provisorische Bedeutungsallianzen neigen einem launischen, schnoddrigen und rüden Ton zu.

Unübertroffen eigenwillig in diesem Sinne: Eggsgirlfriend (2010); eine mit rohen oder doch gekochten (-wir wissen es nicht-) Eiern bis beinahe zum Bersten voll gestopfte, hautfarbene Damenstrumpfhose. Nie war die Ex eine absurdere Chimäre aus ephesischem Fruchtbarkeitsidol und fiorentischem Herkulesrücken. Eine surreale Liaison der Artemis von Ephesos und Baccio Bandinellis Herkules am Palazzo Vecchio, dessen supermuskulöse Rückenpartie sein ärgster Widersacher Benvenuto Cellini so unvergessen als Kürbissack denunzierte. Der Billigkeit zuliebe könnte es aber auch angemessener sein, hier eine bildassoziative Melange aus Pfirsichhaut, Zellulitis und Bellmer‘schen Puppenkörpern zu phantasieren.


Ebenso sarkastisch taucht BB in Pool Party (2010) unsere Vorstellungswelt in ein furchtbar hässliches Planschbecken, das durch die in ihm verstreut herumliegenden Wiener Würstchen irgendwie schmuddelerotisch-kinderschänderisch aufgeladen scheint. Als verwahrlostes Arrangement pinkfarbener Lieblosigkeit setzt es ein hartes Kontrastbild zum Glamour, den der Titel als Starsetphantasma evoziert. Auch mit Herzlich Willkommen (2011) unterbreitet er uns ein Ready-Made der sprödesten Art. Die Arbeit besteht aus nichts als einem schnöden Fußabtreter. Doch der Titel hinterlässt seinen buchstäblichen Fußabdruck auf dem Sternenbanner der europäischen Gemeinschaft. Man wird diesen richtungsweisenden sprachlichen Zaunpfahl in der Betrachtung nicht mehr recht los: Herzlich Willkommen. Und so setzt diese unscheinbare Fußmatte geradezu trotzig einen sarkastischen Assoziationsreigen in Gang: über Flüchtlinge, Staatsgrenzen und Ausländerfeindlichkeit. Zwanglos schließen die subtileren Ausgrenzungsmechanismen aus der Sphäre des unheimlich Heimatlichen und häuslich Unheimlichen an, aber auch die stille Gewalt tiefsitzender Ressentiments.
Ich hoffe, es wird deutlich: BB sendet Nachrichten aus jenen unwohnlichen Winkeln der Welt, in denen der Plastikmüll endet. Er fördert die Dinge und Zeichen aus den gesellschaftlichen Randregionen zu Tage, in denen der gestalterische Fehltritt Normalfall ist. Es ist die Weltzone des Trivialen, der un- oder nur halbverstandenen Dinge und verlogenen Zeichen, des übercodierten Kitsches und der lieblosen Beliebigkeit gefälschter Träume. In dieser Zone unschönen Lebens deckt BB die böse Seele der Waren-Dinge auf. Er drängt sie zur Selbstaussprache, indem er ihre fehlgeleiteten gestalterischen Verbindungen wieder sichtbar macht. Er entdeckt ihren geheimen unheilvollen Code und offenbart so den dunklen Boden ihrer semantischen Anlagen.
Jackpotpotlatch und die Taubenähnlichkeit des Menschen
Aus dem konzeptuellen Dreieck von Dokumentation, Intervention und Inszenierung gewinnt Braun in vielen seiner Arbeiten eine eigenwillige Form von kulturkritischem und sozialpolitischem Impuls. Es ist der Bereich des Privaten und dessen Ausstattung, welcher spielerisch repolitisiert wird. Das Private – so wissen wir von den Großvätern und Großmüttern der 68-er Revolten – ist ja immer auch politisch, spätestens dann, wenn es exemplarisch wird. Braun betreibt seine politischen Ambitionen allerdings zumeist als ästhetische Para-Paranoia … in der gesicherten Scherzhaftigkeit des Wahns im entgrenzten Gehege der Kunst.


Zunehmend aber interessieren ihn darin die systemischen Zusammenhänge von Politik, Religion und Wirtschaft und deren gesellschaftliche Mechanismen, Funktionen und Auswirkungen. Vogelhaus etwa spielt mit dem Kreuz als religiösem Symbol, das mal zu einer prekären Futterstelle mit erigiertem Landesteg, mal zur gläsernen metaphysischen Behausung umfunktioniert ist. Andere Arbeiten widmen sich den Ökonomien der Zirkulation und der Verschwendung, der Mehrwertproduktion oder dem Pfandsystem. Nichts geht mehr (2010) und zu viel verlangt (2008) sind Gleichnisse menschlicher Selbstüberforderung, in denen Leistungssteigerung sinnbildlich in Versagen umschlägt. Aus zwanghaftem Wachstum reift Überforderung, die überstrapazierte Prothese gerät zum verschärften Handicap und die künstliche Steigerung von Effizienz mündet schließlich in Dysfunktionalität.


In der Performance Geben ist das Schönste im Leben (2011) setzte sich BB, ausgestattet mit einem Eimer voller Geld, an die Hauswand einer Fußgängerzone und warf 1-Cent-Münzen aus vollen Händen auf die Straße. Diese Intervention in den öffentlichen Raum kehrte die Erwartungshaltung der Passanten um, die gewohnheitsmäßig den Schnorrer am Straßenrand sitzen sehen. In ihrer eigenen Reaktion hingegen wurde die Taubenähnlichkeit des Menschen sichtbar, da die konditionierten Passanten plötzlich begannen, den Fußboden nach Münzen abzupicken. Einer ähnlichen experimental-behaviouristischen Logik folgt der heimwerkerhaft improvisierte Automat Cash Cow (2009), der Kleingeld ausspuckt und der ebenfalls die Abrichtungstechniken psychologischer Konditionierung thematisiert.


In manchem erinnert diese strategische Verschwendung an das indianische Potlatch, bei dem es vorkommen konnte, dass Familien ihr gesamtes Vermögen verschenkten. Eine ritualisierte Verausgabung, deren symbolischer Tauschwertrückfluss in der immateriellen Sicherung und Steigerung von familialen und gesellschaftlichen Rangstellungen zu finden ist. Diese Form ökonomischer Verausgabung verhinderte gleichzeitig innerhalb der Stammesgemeinschaft auch das, was Marx Kapitalakkumulation nannte. Aufgrund seines anti-ökonomischen Charakters wurde Potlatch deshalb von den christlichen Eroberern unterdrückt und blieb in den USA wegen seiner subversiven Potenz bis in die 50er Jahre des 20. Jhh. verboten.
Eine solche nur scheinbar absurde Geste: Vermögen aufzustauen, um es auszuschütten, – – – das kennt man bei uns nur in der irrationalen Glückslos-Logik des Jackpots. Der Jackpot ist der Traum des kleinen Mannes, sein Heils- und Erlösungsversprechen. Jackpot: das ist der amerikanische Traum »vom Tellerwäscher zum Millionär« minus der investierten Arbeitskraft. Oder auch: Glück macht glücklich! Ein System aus Versprechen, Verknappung und Aufschub, wie gemacht, um den Kapitalismus zu allegorisieren.
Was haben wir nicht alles schon gehört über die Zirkulation der Waren und des Geldes und über die geheimnisvolle Produktion des Mehrwerts. Aus zwei gegenläufigen Förderbändern hat Benedikt Braun seine Installation Jackpot (2010) konstruiert. Auf denen fünfzigtausend 1-Cent Stücke unter rasselndem Lärm im mehrwertlosen Kreis rotieren. Nur 500 Euro, aber doch eine wahrhaftig nach Geld stinkende Masse Münzen.

Was also hält die Welt im Innersten zusammen? Doch wohl nur der zum Wahnsystem ausgebaute Glaube und ein institutionalisierter Beeinflussungsapparat, der stetig und beflissen seine Argumente flüstert. Der seine Konditionierung erfolgreich zu epidemischen Wahrheiten ausbaut und uns hocheffiziente ökonomische Wahngewissheiten schenkt, deren Begründung aber schuldig bleibt. Und doch: alle Schuld ist nur gedeckt im Glauben an den substantiellen Wert, der nichts ist als ein reibungslos funktionierendes Trugbild. Wer ausser Gott kann den Waren-Wert des Geldes garantieren? Und müssen nun nicht Taten folgen?
Warum greifen wir nicht zu, wenn vor uns doch das Geld zirkuliert. Warum greifen wir nicht zu und stopfen uns die Taschen voll? Entziehen wir dem Geldkreislauf seine Ware Münze! Stehen dann die Förderbänder still? Stirbt der Gesellschaftskörper, wenn man ihm sein Blut entzieht?
Warum verschwenden wir uns nicht, zur Not auch Hals über Kopf, als seien wir alle Superman!
Aber vergessen wir nicht: Supermans Humor ist drastisch. Drastisch genug, dass selbst noch die politischste Aussage nie bierernst bleibt. Eher noch sind es bierselige Exerzitien des Trivialen voller verballhornter Selbstironie.
Supermans Nacktflug durch Weimar: die Realität des Absurden, die Ausweisung theatraler Sinnwidrigkeit beginnt mitten in den unprätentiösen Strapazen klassischer Normalität.
