Wer hätte nicht gerne ein Stückchen Paradies? Am besten ganz für sich allein. Oder wird es vielleicht doch erst so richtig himmlisch, wenn wir das Paradies auch zu teilen verstehen, wie die Sprache, mit der wir – Gott sei Dank – nicht immer im Mund führen, was wir aussprechen. Manifestiert sich, so könnten wir fragen, in der Sprache die Sache, materialisiert sich eine Idee in der Schrift? Zugegeben – eine vielleicht zu sprachtheoretische Erwägung, wenn es um Wünsche, Träume und paradiesische Dinge geht. Halten wir fest, wir seien jederzeit durchaus in der Lage mit oder ohne schnörkelnde Tintenspritzer das Paradies zu Papier bringen, – einfach, indem wir es niederschreiben: Buchstabe für Buchstabe.
Eine Möglichkeit, Wünsche und Träume zu materialisieren und so ein Stück vom Paradies wirklich werden zu lassen, kann es auch sein, Gedanken in Taten umzusetzen; die Dinge zu machen, die man machen will – beispielsweise: einen Projektraum. Majla Zeneli kam als Albanerin über Breslau und Halle nach Berlin und eröffnete bald einen kleinen Projektraum, manière noire, der Druckwerkstatt und Galerie miteinander verband. Auch, um damit einen Ort ins Leben zu rufen, an dem die eigene Arbeit im ständigen Austausch mit anderen Postionen stehen kann. Manière Noire ist also nicht völlig neu, aber nun gleichwohl wie neu geboren an einem neuen Ort. Trotz seiner Nähe zum Hamburger Bahnhof, zum überkunstaffinen Mitte und dem mittlerweile für die Projektraum-Szene wichtigen Wedding, der angrenzt: für ein solches Projekt ist Moabit noch immer ein ungewöhnlicher Standort. Näher am Paradies kann man seine Räumlichkeiten allerdings nicht eröffnen – ist die ursprüngliche Bedeutung von Paradies doch: Tiergarten.
Majla Zeneli tritt mit einer klaren programmatischen Vorstellung an. In ihrem Projektraum will sie zeigen, wie Kunst sich dem Medium Sprache annähert und zeitgenössische KünstlerInnen sich diese auf unterschiedlichsten Wegen aneignen, sie spielerisch nutzen, sie neu arrangieren oder sich mit ihr als Referenz-Medium auseinandersetzen. Ihr konzeptioneller Schwerpunkt ist das Verhältnis von Sprache und bildender Kunst als einer kommunikativen Praxis, die beschreibende, behauptende, aber auch ironisierende Elemente aufnimmt. Damit öffnet sie einen ganzen Kosmos von möglichen Bezügen und Zeichenlandschaften; weit über alles Typographische hinaus. Schrift, Wort, Sprache, Atem, Ausdruck, Körper, Laut. Bild und Text. Literatur, Poetik, Narration. Montage und Arrangement. Konkrete Poesie, Dada und Konzeptkunst. Sprache ist allerspätestens seit den Sechzigern ein fester Bestandteil der Kunstproduktion. Und das hier eben Aufgezählte nur ein winziger – aus dem Geschriebenen der Geschichte wiederholter – Ausschnitt.
Allemal sind die künstlerischen Positionen selbst der jüngeren Gegenwartskünstler zu diesem Thema zahlreich und vielfältig genug, um das erste Jahr mit projektierten Ausstellungen auszufüllen. Das Programm steht schon.
Sprichwörtlich ein Segen könnte es sein, dass Helen Acosta Iglesias mit ihrer Ausstellung den Projektraum eröffnen wird. Die spanische Künstlerin kennt sich mit solchen Dingen bestens aus. Bereits vor Jahren entwarf und baute sie eine Segnungsmaschine, die es auch im atheistischen Kernland von Berlin ermöglicht, den Segen himmlischen Lichts zu empfangen. Allerdings wird das handliche und transportable Beneditktiergerät in der Ausstellung nicht zu sehen sein.
Thematisch bewegt sich Helen Acosta Iglesias meist in einem Dreieck aus (Aber-)Glauben, Alltagsbräuchen und Ironie. Oft beginnt ihre Arbeit mit einer Situation, in der – vorher unbemerkt – etwas zu fehlen scheint, eine plötzliche Lücke im Alltag oder eine sich unerwartet zeigende Leerstelle. Manchmal helfen ihr überraschende Zufälle oder konzeptionelle Kurzschlüsse als kreative Katalysatoren. Hin und wieder sind es beiläufige Bemerkungen oder sich einschleichende Ideen, die sie dann verfolgen und die sie lösen muss, um sich ihrer wieder zu entledigen. Am Ende aber haben sich diese ungelösten Aufgaben und Ausgangssituationen in poetische und bildhafte Objekte verwandelt.
In ihrem Projekt bei manière noire widmet Helen Acosta Iglesias sich der Essbarkeit von Ideen, Gedanken und Inspirationen. Inhalte werden am einfachsten verinnerlicht, wenn man sie ganz in sich aufnimmt, und da ist es am besten, wenn man sie gleich ganz aufisst. Im Aufessen des geschriebenen Wortes wird der Fremdcharakter der Sprache getilgt und die transportierten Inhalte in Eigenes verdaut.
Auf die zarte Bitte nach einem Stückchen Paradies antwortet ihre Arbeit also: „Nehmet hin“ – diese Bibel aus Esspapier und Lebensmittelfarbe. „Nehmet hin“ – das Wort als Leib Christi. „Nehmet hin“ – das essbare Werk.
Iglesias spielt damit auf den offiziellen liturgischen Kannibalismus der katholischen Kirche an, bei der Wein und Oblaten während der heiligen Eucharistie zu Blut und Fleisch Gottes transsubstantiiert werden. Sie schließt damit aber auch an zahlreiche weniger bekannte Bräuche an, wie jene von vielen Gläubigen als bildmagische Volksmedizin gebrauchten Schluckbildchen von Heiligen, die noch im 18. und 19. Jahrhundert besonders in ländlichen Regionen bei Krankheit von Mensch und Vieh verabreicht wurden.
Kommet und sehet, nehmet hin und esset!
Qjubes ist gespannt auf das weitere Programm von manière noire und setzt auf die Erzeugung unendlichen Sinns in der Kombination endlicher Zeichen.
Qjubes wünscht zur Neu-Eröffnung viel Glück!
Und allen unseren Lesern – passenderweise – an dieser Stelle fröhliche Weihnachten und alles Gute zum Neuen Jahr!
Helen Acosta Iglesias
I would like a bit of Paradise, please!
19.12.2014 – 15.01.2015
Eröffnung
Freitag, 19. Dezember 2014, 19 Uhr
manière noire
Druckwerkstatt & Galerie
Waldenserstr. 7a
10551 Berlin
www.manierenoire.net
Kommende Ausstellungen:
Appropriating Language Series
Pierre Granoux
Poetry written for the occasion of the Birthday of Art
17.01.2015 – 15.02.2015
Korvin Reich, Ties Ten Bosch, Samantha Font-Sala
Text drawings, POEN, you need to introduce
20.02.2015 – 15.03.2015
Anke Becker
economic words
20.3.2015 – 17.04. 2015
Malvina Niespodziewana
Pop up book about the life of Katarzyna Kobro
08.05.2015 – 30.05 2015
Geplant:
Mara Goldwyn, Albert Coers, Chiara Giorgetti, Lena Oehmsen
archiving
Mario Asef July
art is not an option
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video works and artist statements
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The making of…
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Dialogues with Infinity
Jörn Gerstenberg, Herbert Christian Stöger
An interpretation of Alfred Kubin’s biografy in text and images
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The Artist as curator