Lost in Translation

Viertes Gespräch.
Der Blick hinter die Bilder.

Wolfgang Plöger: Mission Possible, 2006
Wolfgang Plöger: Mission Possible, 2006

Flughafen Frankfurt. Airport Conference Center. Raum K27. Thema: Aura. Neben dem Fenster hängt eine Fotografie, vermutlich aufgenommen aus einem Flugzeug. Der Blick auf das Meer wird durch schneeweiße Haufenwolken größtenteils verdeckt, der Blick in die Weite des Weltalls, das den gleichen Blauton wie das Meer aufweist, wird ebenfalls teilweise von weißen Wolken verdeckt, die wie eine Mischung aus Kumulus und Zirrus aussehen. Oben und unten muten wie eine Spiegelung an und erinnern an Photocollagen von Gerhard Richter. Größe: 12 qm. Bestuhlung: Blockform für maximal 4 Personen. Ausstattung: Tageslicht, Flipchart, Leinwand, Telefon. Konferenzservice: keiner.

LAGOS: Unlängst zeigten Sie in der Kieler Galerie Enja Wonneberger ein Video, das Sie in einem Kinosaal aufgenommen haben. Die Kamera steht fix und erfasst beinahe den ganzen Vorführraum. Auf dem Video ist zu sehen, wie der Saal sich langsam füllt, die Lichter ausgehen, dann die Vorfilme beginnen, endlich fängt der Hauptfilm an, den Sie in seiner vollen Länge abgefilmt haben. Nach dem Ende des Filmes sieht man noch, wie der Saal sich schlagartig leert, dann endet auch Ihr Video.

PLÖGER: Ich versuchte, der erste im Raum zu sein, damit mir nichts von der Vorführung entgeht. Ich habe dann meine Kamera aufgestellt und alles gefilmt.

LAGOS: Wie hieß der Film, den man auf der Leinwand sieht?

PLÖGER: (denkt nach) Das habe ich schon vergessen. Der Film war im Vorfeld groß beworben worden, dementsprechend war auch der Andrang. Ich machte die Aufnahme am Vorabend meiner Ausstellungseröffnung. Das war wichtig, denn alles sollte brandaktuell sein. Und so war es dann auch, die meisten Besucher zur Eröffnung hatten schon von dem Film gehört, aber noch niemand hatte ihn gesehen.

LAGOS: Das Video ist also eine Raubkopie?

PLÖGER: Ja. Und je länger die Ausstellung lief, desto mehr verlor mein Video an Bedeutung. Und heute, wo der Film wahrscheinlich schon im Videohandel erhältlich ist, ist mein Video gänzlich belanglos. Es gefiel mir, eine Arbeit zu machen, die so ein hohes Maß an Tagesaktualität bei gleichzeitigem Wertverlust hatte. Dafür war das Interesse bei der Eröffnung riesengroß. Ich habe noch nie ein solch gebanntes Publikum gehabt.

LAGOS: Solche Raubkopien sind mittlerweile weit verbreitet und richten einen immensen Schaden an. Kürzlich brachte mir ein Freund aus Peking eine DVD mit. Death Proof von Tarantino. Beim Gucken des Filmes dachte ich, wieso flimmert das Bild so, und da begriff ich, dass jemand den Film von der Kinoleinwand abgefilmt hatte. Inwiefern unterscheidet sich Ihr Film von solchen Raubkopien?

PLÖGER: Ich zeige den ganzen Saal.

LAGOS: Geht es Ihnen darum, die Vorführung wieder zu etwas Einzigartigem zu machen? Ihr wieder eine Aura zu verleihen, indem Sie das Hier und Jetzt der konkreten Vorführung betonen?

PLÖGER: Ich weiß nicht. Ich hatte nicht mehr als eine Ahnung, dass das interessant sein könnte.

LAGOS: (Plögers Art, sich auf irgendwelche genialen Intuitionen zu berufen, gefällt ihm nicht. ‘Der Herr Oberkontrolleur lässt Fünfe gerade sein. Dass ich nicht lache!’) Dieses Video ist nicht die erste Arbeit von Ihnen, die sich direkt auf das Kino bezieht. Sie haben einmal eine Fahne in einem Kinosaal gehisst, sie ragte aus den Sitzrängen auf und wurde von mehreren Ventilatoren zum Wehen gebracht. Auf die Leinwand projizierten Sie ein Dia, das einen bewölkten Himmel zeigt, vor dem sich die Silhouetten von Häuserdächern abzeichnen. Ich meine die Arbeit two houses.

PLÖGER: Der Eingriff fand im Brücke-Kino in Kiel statt, im Rahmen der Ars-Baltica-Fototriennale, war als Filmvorführung angekündigt worden und dauerte auch nur zwei Stunden. Die Besucher durften nur die Empore betreten, sie kamen also rein, setzten sich hin und sahen auf der Leinwand eine wehende Fahne am Himmel. Auf den ersten Blick ging das Bild wirklich als Film durch, doch irgendwann wurde man der Diskrepanz zwischen dem eingefrorenen Himmel und der wehenden Fahne gewahr. Einige standen auf, traten an die Balustrade und dann sahen sie die reale Fahne unterhalb in den Rängen und der Schwindel war aufgeflogen. Wer dennoch blieb und sich auf die Situation einließ, bekam eigentlich einen sehr schönen Film zu sehen. (lacht)

LAGOS: Im Kino herrscht eine andere Rezeptionshaltung. Stehende Bilder sind schwer zu ertragen.

PLÖGER: Ja, schon. Aber mich interessierte mehr, im Saal eine weiße Fahne zu hissen. Man weiß nicht genau, wer da eigentlich vor wem kapituliert.

LAGOS: Auch die Fahne entfaltet eine Aura im Saal.

PLÖGER: Schon möglich, ja.

LAGOS: (jetzt reicht’s ihm) ‘Schon möglich’ ist keine Antwort.

PLÖGER: (unbeeindruckt) Schon möglich.

LAGOS: (Lagos’ Unterlippe beginnt zu zittern. Er ringt um Fassung. ‘Ich hab’ nichts gehört. Rein gar nichts.’ Er unterdrückt einen Wutausbruch, sammelt sich und schaut auf seinen Notizzettel. ‘Verweis auf Brecht’ steht dort. Aber wieso muss er die ganze Zeit an Mike Tyson denken? Und an das Ohr von Evander Holyfield? Hatte Tyson nicht ein Mao-Tattoo auf seinem gigantischen Trizeps? Oder war das Diego Maradona?) Muss ich es sagen? (er holt tief Luft) Na dann. Das Kino kennt nur den illusorischen Raum der filmischen Projektion. Den realen Raum will es vergessen machen. Ausblenden. Soweit sind wir uns einig, oder? (er schaut zu Plöger, dieser bleibt regungslos) Sie hingegen lenken die Aufmerksamkeit des Besuchers auf den realen Raum und damit auf die Situation, in der er sich befindet. Brecht fällt mir ein und seine Ausführungen zum epischen Theater. (Oder hatte Maradona ein Brecht-Tattoo?) Es wundert mich, dass Sie von diesen Überlegungen nichts wissen wollen. (Pause) Schließlich waren Sie es, der in einem Kinosaal vor Jahren die Leinwand leicht schräg aufstellen ließ. Das war nur ein kleiner Eingriff, aber spürbar. Das Bild verzerrte sich leicht und als Betrachter hatte man das dumpfe Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmt. Ich bin in dem Kino gewesen und mir kam es vor, als könne ich hinter die Bilder gucken. Der Effekt war der gleiche, man wurde – zumindest für einen Moment – aus der Handlung des Filmes herausgerissen und auf sich selbst zurückgeworfen. Aber es gibt noch weitere Enigriffe von Ihnen in den Kinosaal. Beispielsweise den Film Six degrees of freedom.

PLÖGER: Naja, es ist wohl eher ein Eingriff am Filmset.

LAGOS: Sie haben der kompletten Produktion des Kinofilmes Lost in Translation beigewohnt und alle Szenen, die aufgenommen wurden, aus einem leicht verschobenen Winkel von 6° mitgefilmt. So entstand ein Parallelfilm mit den gleichen Szenen und dem gleichen Schnitt, nur um 6° versetzt.

PLÖGER: Six degrees of freedom meint eigentlich die Bewegungsfreiheit von Robotern im dreidimensionalen Raum. Vor, zurück, hoch, runter, links, rechts. Ich habe den Begriff etwas umfunktioniert.

LAGOS: In ausgesuchten Kinos lief später der Originalfilm von Sofia Coppola und parallel dazu im Nebenraum Ihre Produktion. Der Besucher konnte sich zwischen den Räumen frei bewegen.

PLÖGER: Aber immer entging ihm dann der gleiche Ausschnitt im jeweils anderen Film. Er konnte also nicht wirklich die Einstellungen vergleichen.

LAGOS: Ein paar Unterschiede fielen allerdings gleich ins Auge. Ihr Film ist deutlich grobkörniger, die Kameraführung ist eine andere, vor allem scheint die Kadrierung nicht immer zu stimmen. Manchmal erscheinen Techniker am Bildrand oder Scheinwerfer.

PLÖGER: Zum einen verwendete ich als Aufnahmeformat Super 8. Der Originalfilm wurde auf 35 mm gedreht. Dann konnte ich ja nicht die gleiche Technik aufwenden wie die Regisseurin. Ich konnte auch keine weiteren Assistenten am Set beschäftigen. Ich stand ja so schon oft genug im Weg. Besonders schlimm wurde es bei Kamerafahrten. Da stolperte ich dann mit meiner Handkamera dem Dolly hinterher. Dass die Kadrierung oft nicht zu stimmen schien, lag allerdings in der Natur der Sache und war ein einkalkulierter Effekt. Ich filmte ja von einem versetzten Standpunkt, und der ganze Set war auf die Position des Kameramanns ausgerichtet.

LAGOS: Ihr Film strahlt eine Ästhetik aus, als stamme er von den Dogma-Filmern.

PLÖGER: Das ist Zufall und den Umständen geschuldet.

LAGOS: Da ist noch eine vierte Arbeit, die nicht unerwähnt bleiben sollte. Vorweg gesagt, ich halte sie für ziemlich problematisch. Ich meine Ihren Beitrag zur Biennale in Beijing im lezten Jahr. Während der gesamten Laufzeit der Ausstellung ließen Sie die abendlichen Nachrichten des staatlichen Fernsehens live in ein Kino übertragen. Sie ersetzten den Vorfilm.

PLÖGER: Wie in Deutschland werden die Hauptnachrichten um 20.00 Uhr Ortszeit ausgestrahlt. Sie dauern 30 Minuten, anschließend begann die Vorführung des Programmfilms.

LAGOS: Durch das Kino als Übertragungsort rücken Sie die chinesischen Nachrichten in die Nähe der Deutschen Wochenschau. Diese dienten dazu, die Kriegspropaganda der Nazis unters Volk zu bringen. Damit schaffen Sie eine bedenkliche Analogie.

PLÖGER: Die Nazis haben dieses Format nicht erfunden. Sie übernahmen es, weil es sehr wirksam war.

LAGOS: Aber gerade weil sie es so wirksam einsetzen konnten, verbinden wir Nachrichten im Kino mit der Deutschen Wochenschau.

PLÖGER: Zum einen sind auch die chinesischen Nachrichten keine freie Berichterstattung, sondern staatliche Propaganda. Ich will nicht China mit Nazi-Deutschland gleichsetzen, wohl aber ein Herrschaftsinstrument thematisieren, vielleicht demaskieren. Denn wer Herr über die politischen Informationen ist, besitzt eine Menge Macht. Es reichte eine kleine Ortsverschiebung, um die Nachrichten im Licht der Inszenierung und Manipulation erscheinen zu lassen. Nachrichten werden schon lange nicht mehr im Kino übertragen. Das Kino ist zum Schauplatz einer künstlich hergestellten Fiktion geworden, und in diesen Kontext begaben sich nun die Nachrichten.