»Wir bestehen alle nur aus buntscheckigen Flecken, die so locker und lose aneinander hängen, dass jeder von ihnen jeden Augenblick flattert, wie er will.« Michel de Montaigne, Essais
Die Namenlose
Sie wurde als Meisterin der Maskerade und Frau der tausend Gesichter beschrieben. An ihr scheiden sich die Geister. Seit mittlerweile über 30 Jahren befasst sich Cindy Sherman in ihren Photographien mit den Bildern und Rollen der Frau in den westlichen Gesellschaften. Über das Geschlecht hinaus mit den Fragen von Macht und Identität bei der Subjektkonstitution. Und natürlich mit sich selbst. Aber das eher am Rande, obwohl sie nichts anderes tut, als sich selbst zu photographieren. Ihre Arbeit und die von ihr ausgelösten Debatten sind dabei glücklicherweise nie zur Ruhe gekommen. Zu strittig, provozierend, uneinheitlich, ja zuweilen polymorph erscheinen ihre Werke. Eindringlich führen sie Fragen der Emanzipation, der Pornographie, der Verschleierung und möglichen Repräsentation von Sexualität, Identität, Körper und Gender vor. Damit bewegen sie sich ganz absichtlich auf einem umstrittenen, unruhigen und beweglichen Untergrund von Übertragungen, Verdichtungen und Verschiebungen.
In ihren frühen Schwarz-Weiß-Photographien aus den 70er Jahren schlüpfte Sherman noch mit einer Mischung aus kalkulierter Unschuld und scheuer Neugierde in das von der amerikanischen Mainstream-Kultur vorgegebene Arsenal weiblicher Rollenstereotype. Gemeinsam ist diesen noch unaufdringlichen Darstellungen, dass sie alle so wirken, als ob wir sie schon irgendwann einmal gesehen hätten. So erscheinen die szenischen Arrangements in den »Untitled Film Stills« dem Bildgedächtnis derart vertraut, dass sie eine filmische Vorlage nahelegen, auch wenn sie diese gar nicht haben. Erst auf den zweiten Blick wird ihre Vertrautheit brüchig.
Auf ganz direkte Weise lässt diese Serie ein Vergnügen am Experiment mit der eigenen Identität durchblicken: eine spielerische Lust, sich zu verkleiden und eine fremde Rolle in einer anderen Lebenserzählung einzunehmen. Sherman selbst wies auf diese einfache Freude an der Verwandlung hin, die sie als junges Mädchen bewegte. Später verband sie diese darstellerische Selbsterprobung eher zufällig mit dem Medium Photographie zu der heute so bekannten Form ihrer künstlerischen Selbstinszenierung. Vor aller Gesellschaftskritik begegnen wir einem elementaren Schau-Spiel, wenngleich Sherman dieses schon hier mit der künstlerischen Analyse subtiler Rollenzwänge kombiniert und auf geschickte Weise deutlich macht, dass auf ihren Bildern die Imitation medialer Vorbilder die eigene Identität und das Leben ersetzt hat.
Dabei ist Sherman ganz ein Kind ihrer Zeit, wenn sie ihre hauptsächliche künstlerische Strategie in der Aneignung bestehenden ästhetischen Materials sucht und die gesellschaftlichen Rollenbilder der Frau thematisiert, indem sie sich selbst zum Dreh-Angelpunkt ihrer medialen Aneignung des eigenen Geschlechts macht. Denn bei ihren photographischen Inszenierungen steht sie immer zugleich vor und hinter der Kamera. Ihre Kunstwerke sind nichts als Bilder der Künstlerin. Doch wer ist sie überhaupt? Was sollen diese ganzen Verkleidungen? Und woran lässt sie sich überhaupt erkennen? An ihren Gesichtszügen? An den charakteristischen Merkmalen ihrer Kunst?
Namenlos bleiben die Posen der Mimen. Namenlos ihre Frauenrollen. Namenlos auch sie. So scheint sie zugleich überall und nirgends zu sein. Sie zeigt sich und verschwindet sogleich in dem, was sie zeigt. Und je offensiver und aufwendiger sie sich später inszenieren wird, desto mehr wird sie sich als Person dem Feld des Sehens entziehen.
Hysterie und Theater. Das Drama der Geschlechtsidentität
Schon in diesen frühen Arbeiten nutzt Sherman die feine Abweichung eines leicht überzogenen und sichtbar bleibenden Nachgestellt-Seins, um einen größeren Mechanismus zu entlarven. Ihr gelingt es mit diesem differentiellen Abhub nämlich die Arrangements aus Codes, Gesten und Blicken in ihren Einzelelementen sichtbar werden zu lassen: in Tränen, Lippen, Schminke. In Sehnsucht, Erwartung, Verführung. Im scheuen, schüchternen, verletzlichen und lockenden Repertoire der mimischen und gestischen Körperzeichen. Dabei zieht Sherman unseren Blick auf eine unterschwellig sexualisierte Bühne, auf der nicht selten die Frau um das abwesende Begehren des Mannes herum inszeniert ist. Auch wenn die Aufnahmen Frauen abbilden, ist der männliche Blick immer mit im Bild.
Im unterschwelligen Konstruktionsfeld dieser Bilder wirkt das Programm der damals aufkommenden Geschlechter-Fragen mitsamt ihren Normierungsfallen und Rollenverteilungen, die mittels sozialer, kultureller und ökonomischer Mechanismen geformt und erhalten werden. In den emanzipatorischen Auseinandersetzungen der siebziger Jahre wurde der Körper der Frau seitens der feministischen Bewegung zum gesellschaftspolitischen Schlachtfeld erklärt. Shermans subversive Rollendarstellungen entstehen vor diesem Hintergrund. Nur scheinbar bewegen sich ihre Aufnahmen also auf einer intimen Bühne der Selbstinszenierung, – in Wahrheit ist ihre Theatralik für die Öffentlichkeit mit ihren zentralen Fragen nach dem, was geht und dem, das nicht geht, gemacht.
Doch das ist nicht alles. Sherman begnügt sich nicht mit implizit ihren Inszenierungen eingeschriebenen politischen Forderungen. Ihr geht es auch um ästhetische und semiotische Tiefenstrukturen von Bildmedien und sozialer Geschlechtskonstruktion. In dem ihr eigenen Bezugsdreieck von Regie, Schauspiel und Photographie wird Sherman deshalb immer wieder das vertrackte Verhältnis von Geschlecht und Medien, Körper und Repräsentation erkunden. Ihre irritierenden Bilder erscheinen indes zuweilen als eine postmoderne Entsprechung jenes hysterischen Körpers, den die frühe psychologische Forschung im ausgehenden 19. Jahrhundert dem Bild der Frau als neurotische Störung auf Leib und Seele schneiderte. Schon damals war die Photographie als szenisches Medium zur Dokumentation der Erregungszustände, der Krämpfe und Erzeugung von geschlechtlichen Ausdrucksformen maßgeblich an der hintergründigen Herstellung des Krankheitsbildes beteiligt.
Im mittlerweile überholten Diskurs der Hysterie wurde das kulturelle, soziale und psychologische Drama der Geschlechtsidentität innerhalb der Dialektik aus Begehren und Verdrängung, Körper und Gesetz verhandelt. Während der publikumswirksamen Vorführungen in der Salpetière beklagten einige Kommentatoren das theatralische Geltungsbedürfnis der Patientinnen, ihre wechselnde, launische Affektivität, ihr oberflächliches, egozentrisches Gebaren und eine unbändige Neigung zur Selbstdarstellung. »Hysterikerinnen« galten als Schauspielerinnen und Simulantinnen, die es zu entlarven galt. Die Symptome der Psyche galten seit der Antike zudem als mit der Gebärmutter verbunden. Später bezeichnete Breton die Hysterie als eine der größten poetischen Entdeckungen. Dabei war es der psychopathische Zusammenhang von theatralischer Ausdruckskraft, gegenläufigen Artikulationen und den Ekstasen der Besessenheit, die der Kontrolle und Zensur des Bewusstseins entzogen sind, und dessen kreative und revolutionäre Potentiale ihn begeisterten.
Auch Sherman sucht ästhetische Zugänge zu einer visuellen Realität, die sich an die hysterische Kombinatorik aus dramatischen Körpergesten und imaginativen Kräften des Begehrens speist. Ihre Bilder bleiben ambivalent, denn sie folgen bei der Erkundung der weiblichen Identität nicht selten einer Ästhetik des Schreckens. Oft genug wirken ihre Darstellungen von Frauen geschunden und zerrissen, hässlich, dümmlich, schmutzig, schmollend, irre, ängstlich, wütend, abwesend, affektiert, traurig, verloren und verkleidet. Das Eigentliche aber ist, dass auch Sherman das Thema der weiblichen Geschlechtsidentität an eine theatralische Aufführungspraxis koppelt und die weibliche Identität in der Regel indirekt über den (männlichen) Blick des Anderen definiert. Dabei spielt auch das phallische Medium der Photographie eine vorbelastete Rolle, wenn Sherman die Zwiespältigkeit ihrer sozialen Rollenfiguren im Gefängnis ihrer in Kostümierungen und Maskierungen vorführt.
Sherman steht dabei dem ästhetischen Programm der Surrealisten deutlich näher als manchen bildpolitischen Forderungen der Emanzipationsbewegung. Sie folgt so in vielen Dingen den Idealfiguren des surrealistischen Schönheitsbegriffs, allerdings nicht ohne sich als Künstlerin, Darstellerin und Photographin den gesamten Bild-und Bedeutungsprozess anzueignen. Anders als bei den Surrealisten setzen ihre Bilder aber zugleich einen Prozess der Dekonstruktion ihrer Zeichen in Gang. Damit steht vor allem auch die soziale Konstruktion von Geschlecht zur Disposition. Gender bedeutet hier eine Auffassung von Geschlecht als Dressur und Verkleidung, gebildet, fingiert, und kulturell hergestellt. Die Begegnung mit ihren Bildern führt uns immer wieder neu das Drama von geschlechtlicher Identität, Differenz und Devianz in einer enzyklopädischen Vielfalt phantastischer, historischer und alltäglicher Verkleidungen vor Augen.
Alles nur Fake
Baudelaire verneigte sich einst vor der Schönheit der Frauen und bejubelte die Macht der Schminke als eine Möglichkeit aus den Grenzen der Natur herauszutreten. Seine Neigung zum Exotischen begünstigte die Faszination für die Dimension des Weiblichen als ‚unbekanntem Kontinent‘, deren dunkle Idealisierung er lieber aus einer selbst gewählten Halbdistanz heraus betrieb, um seine Leidenschaft in Poesie zu übersetzen. Überhaupt wurde die Verwandlungsfähigkeit der Frau im ausgehenden 19. Jahrhundert als eine bedrohliche und abgründige Versuchung für die weltweite Herrschaft des Mannes wahrgenommen. Mit welcher fluoreszierenden Macht die flottierenden Zeichen im intimen Revier des Weiblichen den bürgerlichen Mann verwirrten, zeigte sich exemplarisch an dem gehörigen Aufruhr, den Manets Bild der Olympia mit ihrer mythologisch unverstellten Nacktheit in der Pariser Öffentlichkeit provozierte. Ihr direkter und offener Blick sorgte für zusätzliche Entrüstung, da es der selbstbewusste Blick einer Kokotte ist, die den Betrachter des Gemäldes zum Freier macht. Im Fall der Olympia war es allerdings noch die Hand eines Malers, die diesen skandalösen Kontrakt gewährte.
Interessanterweise wurde seitens der kunstkritischen Öffentlichkeit schon Manets Gemälde malerische Unzulänglichkeit vorgeworfen. Als unecht, billig und flach wurde seine Malweise gerügt, wo es heimlich wohl eher um Urteile und Vorbehalte ganz anderer Art ging. Mit unecht, billig und flach ist aber eine ästhetische Matrize benannt, die auch auf Sherman zutrifft. Alles in ihren Bildern wirkt auf luzide Weise gefälscht. Fake soll, so ist zu hören, sogar eines ihrer Lieblingswörter sein. Die eindrucksvolle Travestie, die sie mit Schminke, Masken, Moden, Perücken, Posen und Kostümen entfesselt, führt uns mitten in den diffizilen Zusammenhang von Nacktheit und Macht, Wahrheit und Weiblichkeit, Verschleierung, Verführung und Verborgenheit hinein.
Dabei verfolgt Sherman jedoch eine ästhetische Strategie der Desillusionierung. Maskierung dient ihr nie als Massnahme der Verschönerung. Keinesfalls setzt sie diese ein, um zu verbergen, es sei denn sich selbst. Stattdessen sind ihr Schminke, Maske und Kostüm Instrumente der Aufdeckung, mit denen sie die elementare Fragen menschlichen Daseins berührt: Wer sind wir? Was macht uns aus? Was ist echt an uns? Was natürlich? Welche Spiele spielen wir? Was bedeutet Leben, Lust und Tod?
Gerade die jeden Tag tausendfach aufs Neue stattfindende weibliche Maskerade, das Ritual des Schminkens, scheint Cindy Sherman ganz bewusst als eine feminine Form von Malerei auszulegen. Indem Gesicht und Körper zu ihrer Leinwand werden, paraphrasiert sie en passant die männlich dominierte Geschichte der Malerei. Und das nicht nur in den »Historical Portraits«, in denen sie sich auf berühmte kunsthistorische Vorbilder bezieht, welche als überwiegende Bildgegenstände die Mätressen der Auftraggeber, die Geliebte oder Ehefrauen verschiedener Maler zeigen. Es ist auch ein Seitenhieb auf die virilen, großformatigen Authentizitäts-Gesten der amerikanischen Expressionisten, an denen sich eine ganze Generation amerikanischer KünstlerInnen und TheoretikerInnen in den siebziger und achtziger Jahren abarbeitete.
Bei Sherman dient die Schminke nicht einer alltäglichen kosmetischen Korrektur. Sie schminkt nicht, um zu kaschieren. Es ist nicht die Illusion der Makellosigkeit, die sie erzeugt, sondern ein beunruhigendes Spiel aus ritueller Verwandlung, in Zeichenprozesse eingelassener Bild-Verkörperung und verwirrender Fälschung. Es sind übertriebene Maskeraden, unecht und artifiziell. Offensichtliche Vortäuschungen falscher Tatsachen. Panzerungen verletzlicher oder unsichtbar werdender Seelen.
Jeder Fake kann Tatsachen nach sich ziehen, denn zumindest die postmoderne Realität ist ein Effekt des Imaginären. »Natürliche Tatsachen« – wie das Geschlecht – können in der Travestie »gefälscht« werden oder verwischen im Androgynen ihre scheinbaren Grenzen. Auch Perücken, Prothesen und Gliederpuppen sind Fälschungen, solche des lebendigen Körpers. Was immer uns Cindy Sherman aber auch vorführt, sie weiht uns in ihr Spiel ein. Sie lässt uns teilhaben an den Elementen und Regeln ihrer Inszenierung. Sie fälscht, aber täuscht uns nicht. Im Gegenteil: sie enttäuscht, was wir erwarten.
Multiple Identitäten
Verharmlosend wird Sherman nicht selten als eine Künstlerin beschrieben, die sich verkleidet und maskiert, in diverse Rollen schlüpft und sich dabei selbst photographiert. Wer macht das heute nicht, so könnte man fragen. In ihrer Alltäglichkeit ist diese Beschreibung sicherlich nicht falsch, vermittelt aber weder den darin enthalten Schrecken, noch trifft diese nach »Karneval der Eitelkeiten« klingende Kurzfassung dessen, was Sherman in ihren Inszenierungen betreibt, den tückischen Kern ihrer Maskeraden.
Shermans Bühnen-Universum dient gerade nicht jenem allgegenwärtigen Exhibitionismus, der die nackte Sucht der eigenen Selbstdarstellung leichtfüßig befriedigt. Anders als Madonna, ihre pop-kommerzielles Pendant, drängt sich Sherman nie in den Vordergrund ihrer Inszenierung. Eher könnte behauptet werden, sie selbst verschwinde in ihrer Kunst. Kaum zeigt sie den eigenen Körper oder ihr unverfälschtes Gesicht. Ihr künstlerischer Narzissmus bleibt darauf beschränkt, hinter den Kulissen alle Fäden der eigenen Marionette in der Hand zu halten. Vermutlich sorgt genau dieser Kniff für ihre Aktualität, denn in den meisten postmodernen Konzeptionen bleibt allenfalls das vom Subjekt übrig: die Selbstermächtigung zum Puppenspieler mit den erworbenen sozialen Masken. Es ist kein Geheimnis, dass die prinzipielle Absage an das sich selbst gewisse und sich selbst bestimmende Subjekt zum Kanon der neueren philosophischen Reflexion gehört. Als passiver Ort vielfältiger Einflussnahmen, Fremdbestimmungen und Abhängigkeiten erfährt sich das Subjekt seit der Moderne in erster Linie als fragmentiert und von Zäsuren zersplittert. Souverän ist es allenfalls noch in seinen Rollen-Arrangements, wenn es als Marionetten-Gott mit seinen multiplen Identitäten spielt. So beruht Shermans Aktualität auch darauf, dass im Kaleidoskop ihrer Frauenbilder das dubiose Angesicht dieses posthumanen Menschentyps eine erschütternde Gestalt gewinnt. Trotz intensiver Farbigkeit sind diese Bilder zutiefst melancholisch: eine geschlossene Welt ohne Aussen. Multiple Identitäten: eingeschlossen im Kosmos des eigenen und fremden Selbst. Ein flattriges Selbst zudem, nur notdürftig zusammen genäht. Lebendig wie eine Puppe. Gesichert allein durch den Panzer der Maskeraden. Die Person: ein Plagiat.
Cindy Sherman. Werke aus der Sammlung Olbricht
noch bis zum 28. August 2016
me Collectors Room Berlin
Auguststraße 68, 10117 Berlin
Öffnungszeiten: Di-So 12-18 Uhr