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Vorab: Diese Neunte Berlin Biennale hat nur wenig mit Berlin zu tun. Vielleicht hat sie sogar wenig mit Kunst zu tun. Das weiß man nicht so recht. Jedenfalls gibt sie sich anti-intellektuell und kultiviert eine kontra-kritische Geste. Fear of Content. Das ist ihre Losung. Nachdem die vorletzte Biennale noch mit gehöriger Wut im Bauch mit der Parole Vergiss’ die Angst! politisch mobil gemacht hatte (wer kann sich heute schon noch an Occupy erinnern?), ist nun die Angst zurück im Geschäft. Nun fragt sich natürlich, was genau hier mit Content gemeint ist. Geht es in dieser Formel um den bedeutungsarmen Alltagsmüll unserer digitalen Wirklichkeit, die uns permanent wahllos mit Content überschwemmt oder um die schiere Angst vor unangenehmen Fragen, schwer verdaulichen Inhalte oder intellektuellen Herausforderungen? Kurz: um eine Einstellung jenseits der Gehaltlosigkeit, um einen Inhalt, dessen unbequeme Form schon allein darin bestehen könnte, dass sie mehr ist als nur Füllung eines Fassungsvermögens. Schreckt junge Kunst heute etwa genau davor zurück? Vor Behauptung, vor Differenzierung, vor Reduktion, vor Form?
Semantik der Standorte
Vor zwei Jahren hatte die von Juan A. Gaitán kuratierte Vorgängerausgabe der Berlin Biennale zwar einen etwas welken ethnographischen Rahmen aufgezwungen und sich in aufgesetzt wirkenden postkolonialen Debatten ohne größere Überraschung oder Mehrwert zerfasert, immerhin aber verdankten wir seiner Leitung eine entschiedene Neu-Vermessung der Berliner Kunsttopographie. Der Kurator scheuchte das Berliner Kunstvolk damals aus seiner Bequemlichkeit auf und schickte es auf eine abenteuerliche Expedition ans Ende der Stadt. Bis weit nach draussen führte die exotische Reise, bis in die akademische Dahlemer Idylle, dorthin, wo am Stadtrand zeitgenössische Kunst auf Papua-Neuguinea traf.
Fear of Content wäre eine solche Unannehmlichkeit vermutlich fremd. Die Neunte Berlin Biennale ist zurück im Zentrum der Stadt. Und doch sucht sie auch hier nicht die lokale Verankerung, sondern das postdigitale Nirwana. Es schaut also bestens aus. Mit einem Format, das einfach immer stimmt. That work’s for everything! Wirklich gute Nachrichten. Alles ist am richtigen Platz.
Daher verfolgt das kuratorische Konzept auch eine symptomatische Semantik der Standorte. Das KW als Stammhaus bindet die jüngste Auflage an das historische Erbe der Berlin Biennale an. Am Pariser Platz ist die gläserne Architektur der Akademie der Künste mitten in das touristische, ökonomische und politische Machtzentrum eingelassen, deren verstrickender neoliberaler Matrix aus Glanz und Transparenz sich die Neunte Berlin Biennale verpflichtet fühlt. Ergänzt werden diese beiden Hauptstandorte von der European Business School. Die private Schule residiert im ehemaligen Staatsratsgebäude der DDR und produziert vor sozialistischen Wandfriesen die zukünftigen ökonomischen Führungseliten. Auf hybride Weise paart sich hier nationale Geschichte und sozialistische Utopie mit der klinisch-kühle Ästhetik der globalen Wirtschaftsordnung, deren Vertreter sich übrigens mit den kunstaffinen Fremdkörpern der Biennale-Besucher so wenig vermischen wie Öl und Wasser. Beinahe etwas abseits liegen nur die neuen Räume der Feuerle Collection am Halleschen Ufer. Aber auch hier reflektiert die Wahl das Widerspiel aus globalen und lokalen Faktoren mit besonderem Blick für den Kunst-Standort Berlin, denn als profilierter Standort für zeitgenössische Kunst ist die neu eröffnete Sammlung ein weiterer Indikator für eine sich weiter wandelnde Kunstordnung der Stadt, die zunehmend auch von Sammlern für zeitgenössische Kunst bestimmt wird. Die Standorte sprechen für sich selbst. Auch ohne die dort ausgestellte Kunst.
Tourismus als Real Life
Ihre Schauplätze gehörten ja immer zum Besonderen der Berliner Biennale. In ihren Anfängen rund um das KW in der Auguststraße schien das Zentrum Berlins noch einer der abgelegensten Orte der Welt zu sein: ein unerschlossener städtischer Raum aus pittoresken Ruinen, deren bröckelige Bausubstanz den ausstellenden Künstlern und regieführenden Kuratoren zugleich als wilde Kulisse und experimentelles Feld der Artikulation diente. Ein urbanes Terrain, wie geschaffen für ephemere Inbesitznahmen. Wie ein Rhizom konnte sich die kuratorische Ausstellungspraxis Biennale für Biennale durch das innerstädtische Feld verzweigen und dabei entlang programmatischer Sichtachsen mit unterschiedlichem Theorie-Besteck das soziale, historische und künstlerische Gewebe der Stadt erkunden.
Nun steigt man selten zweimal in die gleiche Spree. Längst hat sich der im Nachwende-Vakuum entstandene Freiraum, der einst wie ein anarchistischer Abenteuerspielplatz anmutete, in eine schön gestaltete Investitionswiese für Kapitalanleger und ein para-transparentes Zentrum der politischen Macht verwandelt. Zeiten ändern sich, Luxusimmobilien, staatliche Verwaltungen und Shopping Malls ersetzen Ruinen, Diskurse sterben und werden geboren, und dann das Ding mit der Kunst, naja, kurz und knapp: Wir nehmen die Wirklichkeit (zumindest vorerst) so, wie sie ist und uns geboten wird. Und genau das macht diese vom New Yorker Künstlerkollektiv DIS kuratierte Neunte Berlin Biennale auf beinahe erschreckend smarte Weise, wenn sie mit der Bestimmung ihrer Standorte das Zentrum Berlins gleichsam als touristischen und kommerziellen Naherfahrungsraum postdigitaler Scheinwirklichkeiten reklamiert. Tourismus wird so als Real Life zum existenziellen Kunstmodus.
Blue Star
Wie treffend dieser Befund als Ausgangspunkt für eine ungefilterte Bestimmung unserer Lebenswelt ist, können die Besucher der Biennale erleben, wenn sie den kleinen Stadtrundgang der Ausstellungsmacher ablaufen. Der eng gesteckte Parcours erlaubt es, die touristischen Erlebnisräume im Herzen Berlins hautnah zu erfahren. Wenigstens in diesem unwirklichen Ausschnitt der Berliner Realität scheint der urbane Raum lediglich noch das Abziehbild einer Image-Kampagne des senatseigenen Stadtmarketings zu sein: be Berlin als ein historisch aufgehübschter, kunterbunter Vergnügungspark mit zahllosen vagabundierenden Besucher-Trupps aus allen Winkeln der Welt. Anders gesagt: ein geglücktes Modellprojekt zur touristischen Stadtraumbewirtschaftung.
Einen solchen Blickwinkel auf Berlin haben sich DIS konzeptionell angeeignet und als Teil ihrer kuratorischen Praxis noch gleich ein Ausflugsboot dazu gechartert. Für 10 Euro Aufpreis können Biennale-Besucher auf der Blue Star an Museumsinsel und Regierungsviertel vorbei schippern und bei gemütlichem Wellengang Kunsterfahrung und Sightseeing auf angenehme Weise verbinden. In einer düster-maritimen Materialschlacht haben die Künstler Korakrit Arunanondchai und Alex Gvojic das Biennale-Schiff so spooky eingekleidet, als ob sie dort demnächst eine postdigitale Neo-Gothic-Hochzeit feiern wollten. Da die Event- und Tourismus-Industrie in Berlin allerdings schon lange nicht mehr schläft, fällt die Blue Star unter all den Trabi-Safaris, Seifenkisten-Rallies, Velo-Taxis und Bier-Bikes kaum aus dem Rahmen. In ihrem Schauermärchen-Gewand ist sie nur eine Travestie des touristischen Normalfalls und damit genau so erwartbar wie das Angebot auf der hauseigenen Website der Neunten Berlin Biennale, auf der ergänzend zu Tickets und moderierten Rundgängen auch Car Sharing, Hotel und Reiseangebote offeriert werden.
We love to entertain you
Irgendwie ist diese Neunte Berlin Biennale also ganz Kind ihrer Zeit und Spiegelbild der sie umgebenden Verhältnisse. Ihre Macher lieben die kommerziellen Oberflächen und wollen zeigen, was zu erwarten ist, indem sie die ästhetischen und kommerziellen Formate des Bestehenden affirmieren. Allenfalls, dass sie den postdigitalen Wahnsinn einer Welt zwischen Spa und Videospiel in konzentrierter Dosierung servieren. Bestenfalls, dass die Ausstellung uns die postdigitale Gegenwart, die sie ausruft, direkt ins Gesicht prustet.
Obgleich sich die Macher zu der glatten Ästhetik digitaler Benutzeroberflächen bekennen, sehen sie diese neue Wirklichkeit von digitalen Konditionen und gesellschaftlichen Paradoxien geprägt: das Virtuelle als das Wirkliche, Menschen als Daten, Wellness als Politik… ein wenig überraschender Befund, der zwar ohne jede Berührungsangst mit der schönen neuen Welt, dafür aber mit großer Liebe zum Entertainment vorgetragen wird. Ist das nun Antizipation des Bestehenden oder schon Dissimulation der digitalen Schleier? Jedenfalls wirkt die Berlin Biennale oft genug selbst wie ein Allerweltsprodukt. Dass sie möglicherweise genau das will und konzeptualisiert, rettet sie da nicht.
Niedrigschwellig wie selten führt uns auf dieser Biennale die Kunsterfahrung in touristische, kommerzielle und durchmedialisierte Lebenswelten. Manches wirkt wie der wahllose Auswurf des digitalen Superorganismus oder seiner begehbaren Höhlenausgänge, deren phantasmatische, synthetische, triviale und machmal auch dystopische Inhalte sich in die Wirklichkeit zurückstauen. Selbst in ihren kritischen Durchbrüchen in die Gegenwart, die die Biennale in manchen der ausgewählten Arbeiten öffnet, wie in Halil Altınderes Musikvideo Homeland, in dem ein syrischer Rapper über seine Flucht via Türkei nach Berlin singt, bleibt sie angenehme Unterhaltung.
Kunst und Glanz der Transparenz
Eine solche Durchsicht auf das Gegebene könnte schnell auf eine zu große Nähe zur Gegenwart gedeutet werden, von der DIS allerdings nicht einmal zu Unrecht behauptet, sie sei uns abhanden gekommen. Denn tatsächlich können wir feststellen, dass die Gegenwart in ihrer Simulation aufgerieben wird. Daher ist das zeitgenössische Post das „post-contemporary“.
Okönomische Strategien der internationalen Kapitalmärkte, Hochleistungsrechner und Big Data antizipieren Zukunft als eine Verfügungsmasse des schnell Vergangenen. Die Quantifizierung des menschlichen Lebens und seiner Geschichte hat längst begonnen und macht die Gegenwart in Zeiten des „post-contemporary“ eben allenfalls zu einer Simulation ihrer selbst. Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft verschwimmen als zeitliche Kategorien ebenso wie die begriffliche Unterscheidungskraft von Virtualität und Realität oder die Differenz von Mensch und Maschine, Unternehmen und Kunst.
Ob bei Simon Denny in der European School of Management and Technology drei real existierende Bitcoin-Unternehmen in Messestand-Installationen wie auf einer Start-up-Messe präsentiert werden, oder Cécile B. Evans in der abgedunkelten großen Halle der Kunst-Werke einen Laufsteg zwischen schwarzen Wasserflächen auf ihre überdimensionale Video-Installation „What the Heart Wants“ zuführt, in der die Protagonistin Hyper als ein omnipotentes System agiert, das auf Datensammlungen und Speicherkapazität zurückgreift, um ein Individuum zu werden: Immer wieder thematisiert diese Biennale die Schwindel erregenden Paradoxien einer Zukunft, die Vergangenheit werden soll und es vielleicht schon ist. Und deren smarter äußerer Anschein nicht darüber hinwegtäuschen sollte, dass ihre zutiefst irritierenden Phänomene, die bereits jetzt in die Gegenwart des digitalen Zeitalters hineinragen, dem Regime einer diffusen Macht entstammt.
Zwischen Selbstoptimierungs-Workout und grünen Smoothies, Ideologien positiven Denkens und der Ausweitung des globalen Petting schimmert immer mal wieder auch die hässliche und wahnhafte Fratze einer zerrütteten und digital traumatisierten Gesellschaft durch, – einer globalisierten Menschheit, die von Datenströmen gelenkt, von Geheimdiensten überwacht und auf totalen Konsum eingepitcht ist. So erscheint diese Neunte Berlin Biennale und ihre Kunst als ein Kosmos klinischer Künstlichkeit, aus dem die menschlichen Angelegenheiten, Bedingungen und Wünsche zugunsten ihrer Simulation entfernt wurden.
Zwischen all den Sitzmöbeln und Liegewiesen, auf denen sich der Besucher bequem betten kann, löst sich die Kunst ebenso wie ihr Pendant, der alte Recke Wirklichkeit, zwischen hochgejazzten Diskurs-Halluzinogenen und spiegelglatten Benutzeroberflächen auf. Kein Ort, kein Leben, keine Gegenwart mehr. Es existiert kein außerhalb der kommerziell-digitalen Matrix, für deren eventkompatible Aufführung der Besucher, wie ein Kritiker es formulierte, als Dummie dient.
Ambiente-Begrünung & Interieur-Deko: Sitzen, Liegen, Chillen
Mode, Ramsch & Show
How to DISappear in America: The Musical, 2016, Performance, ca. 70’, Courtesy Ei Arakawa; Dan Poston; Stefan Tcherepnin; Reena Spaulings Fine Art, New York; Taka Ishii Gallery, Tokyo. Photo: Gayla Feierman
Das hochdekorierte Touri-Schiff “Blue Star”

Deko und Staffage? Digiästhetische Skulpturen, Objekte, Bilder und Videos
No Fear of Content?
Army of Love

Und ein tolles Tai-Chi-Video
9. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst
04.06.- 18.09.2016
ORTE:
KW Institute for Contemporary Art
Auguststraße 69
10117 Berlin
Di-So 12-22 Uhr
Akademie der Künste
Pariser Platz 4
10117 Berlin
Mi-Mo. von 11 bis 19 Uhr
Do von 11-21 Uhr
ESMT European School of Management and Technology
Schlossplatz 1
10178 Berlin
Mi-Mo. von 11 bis 19 Uhr
Do von 11-21 Uhr
The Feurle Collection
Hallesches Ufer 70
10963 Berlin
Mi-Mo. von 11 bis 19 Uhr
Do von 11-21 Uhr
Blue Star
Anlegestelle Fischerinsel
Märkisches Ufer 34, 10179 Berlin
Mi-Mo. 11, 13.30, 16
Weitere Informationen unter.
http://bb9.berlinbiennale.de/de/
“Der alte Recke Wirklichkeit !”
Haha allein dafür den Daumen hoch! krass geliked!
Aber ein kleine Frage: wie könnte man über diese neuen gegenwartslosen Digitalsphären Kunst machen, ohne in ein vordigitales Reckentum der Wirklichkeit zu flüchten?
Das wäre die anknüpfende Diskussion wohl wert. Sehr sehr spannende bissige Ausgangskritik!